Hausarbeit

 

 

 

 

 

Der Internationale Strafgerichtshof: Die Position der USA und ihr Einfluß auf den Vertrag von Rom

 

 

[als formatiertes PDF]

 

 

Christian Graf

(Matrikelnr. 157619

Hauptstudium Computervisualistik)

01.02.2005

 

 

 

 

Otto-von-Guericke Universität Magdeburg

Institut für Politikwissenschaft

Hauptseminar "Zur Institutionalisierung von Menschenrechten"

Dozent: Dr. Meyer

Sommersemester 2002

 


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Thematik & Relevanz des Themas

1.2. Fragestellung & Ein- und Abgrenzung

1.3. Vorgehensweise

1.4. Einführung in die Thematik

2. Verhalten der USA

2.1. Verhalten der US amerikanischen Vertreter im Verlauf des Entstehens des IStGHs

2.2. Interessen hinter den Handlungen

2.3. Begründung & Legitimation

3. Analyse

3.1. Unbedachte oder unterbewertete Gesichtspunkte

3.2. Hintergrund des amerikanischen Verhaltens

3.3. Der europäische Anteil am Verständigungsprozeß

4. Fazit


  1. Einleitung
    1. Thematik & Relevanz des Themas
    2. Der mit der Ratifizierung des Statuts von Rom vom 17.07.1998 etablierte Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ist ein Instrument zur Durchsetzung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien gegenüber Straftäter von schwersten. Neben UN, dem Sicherheitsrat und den internationalen Einsätzen unter der Rigide der UN, sowohl auf humanitärer als auch militärischer Ebene, fehlte dem internationalen System bisher die Möglichkeit, einzelne Personen für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen, sollte dies nicht auf nationaler Ebene geschehen sein. Mit dem IStGH soll diese Lücke nun geschlossen werden. Er verfolgt Kraft seines Statuts Genozid, systematische Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Angriffskriege und birgt das Potential, in Zukunft auch andere ‘unmenschliche’ Vorgänge zu ahnden.

      Handlungsbedarf

      Überlegungen zur Etablierung eines Internationalen Strafgerichtshofes wären rein rhetorischer Natur, wenn es keine Fälle gäbe, bei denen er bei der Bewältigung hilfreich gewesen wäre oder in Zukunft sein könnte. Beim heutigen Stand der globalen Interdependenz zwischen den Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen durch immer leichter fließende Menschen-, Finanz- und Güterströme können die internen Probleme eines Landes auch die anliegende Region erfassen. So kann ein relativ 'kleines' lokales Problem das Weltsystem großflächig beeinflussen und auch ferne Handelspartner oder sonstige Verbündete betreffen. Die Globalisierung bringt eben nicht nur (wirtschaftliche) Vorteile mit sich, sondern ist auch eine Herausforderung im weltpolitischen und sicherheitspolitischen Sinn.

      Nicht erst der 9. September 2001 hat gezeigt, daß Politik zwar in einem spezifischen Land gemacht wird und dort die Handelnden zu dieser legitimiert werden, daß aber deren Wirkung nicht auf das eigene Land beschränkt ist und Reaktionen und Gegenreaktionen hervorrufen können, die staatenübergreifend sind. Doch nicht erst die jüngtse Vergangenheit hat dies gezeigt. Im letzten Jahrhundert haben Flüchtlingsströme, ausgelöst z.B. durch lokale Unruhen oder Bürgerkriege, uns anschaulich vor Augen geführt, daß gewisse Entwicklungen nicht vor Grenzen halt machen. Dies gilt sowohl für die Entstehung der Ursache als auch für die Behebung der Folgen. Auf Kriege z.B. in Bosnien, Somalia und Ruanda hat die UN ad hoc mit Sondereinsätzen zur Stabilisierung und Befriedung der Region reagiert. Danach hat sie neben dem Wiederaufbau und anderen Maßnahmen Sondergerichtshöfe zur Verhandlung über dortige, während der Auseinandersetzung geschehene Verbrechen eingerichtet, weil die lokalen Strukturen noch zu geschwächt oder nicht fähig waren, diese notwendige Aufarbeitung zu leisten.

      Gleichzeitig zur Globalisierung der Politik erleben wir eine Globalisierung der Kriminalität. Mit dem Blick auf den Internationalen Gerichtshof geht es hierbei nicht um die aktive Nutzung globalen Strukturen, die Verbrechen möglich machen, sondern um die 'passive' Nutzung dieser, so daß Straftäter den nationalen Behörden entgehen. Flucht ins (neutrale) Ausland oder Nichtverfolgung trotz begründeten Verdachts im eigenen Land (z.B. Pinochet), sind möglich und es besteht keine Handhabe gegen ein solche Ausnutzung der Schlupflöcher im Netz der Systeme. Vor der Etablierung des Internationalen Strafgerichtshofs gab es keine Institution über dem Staat die einen Prozeß gegen den Verdächtigen hätte fordern oder selbst durchführen können.

      Im Sinne meiner Ausführungen besteht demnach praktisch Bedarf nach einem Gericht, das über bzw. neben den einzelnen souveränen Staaten steht und Fälle verfolgt, in denen sonst den mutmaßlichen Straftäter kein Prozeß gemacht wird und sie keine Konsequenzen fürchten müssen.

      Relevanz

      Interesse an einer solcher Verfolgung kann theoretisch in zweierlei Hinsicht bestehen: Abschreckung und 'gerechte Strafe'. Beide Aspekte unterscheiden sich in der zeitlichen Wirkung: Ist Abschreckung auf die Zukunft gerichtet, so bezieht sich eine 'gerechte Strafe' ausschließlich auf in der Vergangenheit durch andere zu ertragendes Leid. Eine kurze nähere Betrachtung bringt interessantes, jedoch nicht – im politwissenschaftliche Sinne – handfestes zu Tage.

      Die abschreckende Wirkung einer Bestrafung kann man leider nicht eindeutig nachweisen, die Nichtwirksamkeit jedoch auch nicht. Daher bleibt nur die Hoffnung, nicht die Gewißheit, daß Menschen in der sicheren Kenntnis einer kommenden Strafe von ihrem Handeln absehen und so anderen Leid ersparen.

      Im Gegensatz zur Abschreckung soll eine 'gerechte Strafe' den Missetäter im Namen der Opfer büßen lassen. An der Wortwahl läßt sich leicht erkennen, daß hier die abendländische Kultur, stark beeinflußt durch den christlichen Glauben, eine zentrale Rolle bei der Begründung spielt. Das Ideal einer gerechten Welt und die Hoffnung auf eine 'bessere Welt' ist der Hintergrund.

      Die hier kurz aufgeführten theoretischen Aspekte unterstützen die oben schon länger ausgeführten praktischen. Es es stellt sich somit die Frage, ob es Mittel und Wege gäbe, um die Umstände in der Welt, die bisher bestimmte mutmaßliche Kriminelle begünstigten, und die konkreten Möglichkeiten der Verfolgung dieser zu verbessern.

      Handlungsmöglichkeiten

      Durch die jahrzehntelange Zusammenarbeit in den schon existenten internationalen Organisation wie der UN oder der OSZE, die primär einen politische Fokus haben, und den aus ihnen hervorgegangen Aktionen auf weltpolitischer Ebene hat sich ein Profil zu erkennen gegeben, dessen Grundstein die demokratische Ordnung ist. Dahinter ist ein gemeinsames Rechtsverständnis auszumachen, das einerseits als grundlegend vorausgesetzt, andererseits aber auch durch die zwischenstaatliche Kommunikation und Auseinandersetzung geschaffen wird.

      Ein gemeinsames Rechtsverständnis und die aus der Kantschen Philosophie gewonnene Überzeugung, daß souveräne, demokratische Staaten keinen Krieg gegeneinander führten (eine Zusammenfassung von empirischen Untersuchungen befindet sich in ), u.a. weil das Bevölkerung um das eigene Wohl besorgt ist, führen langfristig zu der Herausforderung, einen internationalen Gerichtshof zu schaffen, der Fälle von Mißachtung des gemeinsamen Rechtsverständnisses und die Verwirkung des Wohl der Bevölkerung ahndet. Die Errichtung eines unabhängigen Gerichts mit allen in einem Rechtsstaat vorhandenen Prozeduren und Mitteln entspricht dem oben festgestellten Rechtsverständnis und wird als geeignete Form verstanden, den erwähnten Herausforderungen zu begegnen.

    3. Fragestellung & Ein- und Abgrenzung
    4. Bei der Behandlung des Themas Internationaler Strafgerichtshof ist die wissenschaftliche Debatte geprägt durch eine doppelte Zweiteilung: Zum einen werden politische (z.B. Möglichkeit der Straffreiheit für die eigenen Truppen) und rechtliche (z.B. die Legitimation des Gerichts) Aspekte versucht zu trennen, zum anderen praktische (z.B. die Benennung von Richtern) und theoretische (z.B. der mögliche Mißbrauch des ISTGHs für politische Zwecke). Hier sind Diplomaten, Rechtswissenschaftler sowie staatliche und nichtstaatliche Akteure beteiligt. Sie beschränken sich überwiegend auf die Behandlung eines kleinen, spezifischen Ausschnitts aus diesem Katalog, meist aus dem Gebiet der rechtlichen und theoretischen Aspekte. Diese Arbeit verfolgt einen anderen Ansatz.

      Der Unterzeichnung und schließlich Ratifizierung der Verträge von Rom war vor allem auch ein jahrelanger Verhandlungsmarathon in Expertengruppen, zwischenstaatlichen Konferenzen und diplomatischem Austausch, der gut dokumentiert und kommentiert wurde. In ihm haben die Staatsregierungen ihre jeweiligen Interessen mehr oder minder aggressiv und erfolgreich kundgetan und vertreten. Ich werde das Verhalten der Vertreter der USA während der Verhandlungen zum Statut von Rom und danach untersuchen, wie dieses von ihnen kritisiert wurde und welche Sichtweise auf das Thema Internationaler Gerichtshof sich daraus erkennen läßt. Mich wird vor allem interessieren, was mittel- oder unmittelbar durch die abgelaufenen Diskurse zwischen den Vertretern der Staaten über die zwei maßgeblichen Parteien USA und ‚Europa‘ und deren Hintergrund zu erfahren ist, z.B. welche Begründungen und Interessen hinter der Ablehnung des Statuts von Rom seitens der US-Amerikanischen Regierung stehen. Fokus ist der Verständnisprozeß der beiden Parteien und wie die atlantischen Partner in Fall des IStGHs mit gegenseitiger Kritik umgehen.

    5. Vorgehensweise
    6. Es geht in dieser Arbeit nicht primär um eine Beschreibung der Ergebnisse von Rom und der Vortreffen, sondern um die dort ablaufenden Kommunikationsprozesse und deren Hintergründe (soweit durch öffentliche Dokumente und Publikationen zu erfahren) in den Verhandlungen. Sie ist auch nicht im klassischen Thesenstil geschrieben. Es stehen also am Anfang keine Thesen, die durch Literaturinterpretation zu belegen versucht werden, sondern ich möchte dem Leser einen Eindruck der Entwicklung geben, ohne vorher eine Aussage zu treffen. Diese Arbeit hat somit nicht den Anspruch, eine vorher postulierte These zu be- oder zu widerlegen. Sie beschreibt vielmehr einen Teil der Verhandlungsprozesse mit amerikanischer Beteiligung während des Aufbaus der IStGHs, analysiert die Beweggründe für das Verhalten der Vertreter der USA und die Kritik an diesem. Weiterhin wird der Verständigungsprozeß zwischen den atlantischen Partnern und der europäische Anteil daran untersucht werden.

      Dazu ist diese Arbeit in drei Teile strukturiert: diese Einführung soll den Verständnishintergrund aufbauen und wichtige Aspekte einführen. Der zweite Teil beschreibt das Verhandlungsverhalten der USA gegenüber des ISTGHs (Kapitel 2.1), die Begründung dieser Haltung aus Sicht der USA (Kapitel 2.2) und die Beschreibung der dahinter stehenden Interessen, ihren Argumenten und der Legitimationsgrundlage (Kapitel 2.3). Der dritten Teil beinhaltet eine Analyse der durch die USA nicht wahrgenommen Gesichtspunkte (Kapital 3.1), den Hintergrund und mögliche Erklärungsversuche der amerikanischen Außenpolitik (Kapitel 3.2), als auch eine Reflexion über diese zumeist aus Europa kommende Kritik an den USA (Kapitel 3.3).

    7. Einführung in die Thematik

    Kurzer geschichtlicher Abriß

    Die Kodifizierung gewisser allgemeingültiger, normativer Werte ist keine Idee der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Schon 1864 wurde die »Konvention zur Verbesserung des Loses der verwundeten Soldaten der Armeen im Felde« verabschiedet, 1899 auf der Haager Friedenskonferenz auf die Opfer des Seekriegs ausgedehnt und ab 1907 leicht abgeändert als sog. X. Haager Konvention weitergeführt. Sie und das »Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen« von 1929 legen Verhaltungsmaßregeln für die Land- und Seeheere der Mitgliedsstaaten fest, wie z.B. den Umgang mit Verwundeten, kranken Soldaten und Kriegsgefangenen. Alle diese Abkommen flossen schließlich 1949 in die sog. Genfer Konventionen zur Humanisierung der Kriegsführung ein. Sie verbieten Angriffe auf das Leben und die Person wie Tötung, Verstümmelung, Grausamkeit und Folterung, Geiselnahme, Beeinträchtigung der persönlichen Würde sowie Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordentlich bestellten Gerichts in einem rechtsstaatlichen Verfahren. Unter den Konventionen genießen auch Zivilpersonen einen Schutz, den bisher nur Verwundete und Kriegsgefangene hatten. So werden u.a. nichtmilitärische Krankenhäuser unter Schutz gestellt sowie Geiselnahme, Folterung und Körperstrafen verboten.

    Die Einsetzung der Tribunale von Nürnberg und Tokyo 1945 war ein zweiter großer Schritt in Richtung der Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ähnlicher schwerwiegender Straftatbestände, denn durch sie wurde erstmals eine formell internationale Strafgerichtsbarkeit geschaffen . Zuvor war das Völkerstrafrecht in der Tradition des Kriegsvölkerrechts, welches sich jeweils auf Zivilisten eines anderen Staates bezog, interpretiert worden . Dies hätte jede Bestrafung von Verbrechen durch Deutschen an Deutschen unmöglich gemacht. Mit den Tribunalen wurde erstmals das Leid der Menschen über das die herkömmlich Auffassung von Staatssouveränität gestellt. Doch diese waren wiederum nur zu einem bestimmten Zweck eingesetze Gremiem, keine dauerhaften Institutionen.

    Schon von 1949 bis 1954 hatte die Internationale Rechtskommission (engl. "International Law Commission" [ICL]) im Namen der Vereinten Nationen mehrere Vorschläge für das Statut eines Internationalen Strafgerichtshofs ausgearbeitet. Dies war der ersten Versuch, eine eigenständige, überstaatliche und permanenten Gerichtsbarkeit zu schaffen. In einer Zeit des Erstarkens der Nationalstaaten durch den wirtschaftlichen Aufschwung nach dem zweiten Weltkrieg und der starken Bipolarität der Staatengemeinschaft als Folge des sich entwickelenden Kalten Krieges war der gemeinsamer Nenner zu klein und das gesteckte Ziel eines Internationalen Gerichtshof zu hoch, als daß eine Einigung zu Stande gekommen wäre .

    Etwa gleichzeitig am Anfang der fünfziger Jahre war im Rahmen des sog. Schumann Plans, der eine Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) mit einer Verfassung vorschlug, ein permanenter, überstaatlicher Gerichtshof für Europa vorgesehen. Doch 1954 scheiterte das Vorhaben vor allem an der Verweigerung der Staaten, nationalstaatliche Souveränität abgegeben zu wollen .

    In den 80er Jahren kam es in der Karibik vermehrt zu Problemen mit staatenübergreifender Kriminalität, die sich der nationalen Gerichtsbarkeit ins Ausland entzogen (vor allem Drogenschmuggel). Zu diesem Zeitpunkt schlugen die primär betroffenen Staaten den Aufbau eines Internationalen Gerichtshofs zur Anwendung staatlicher Strafrechtsverfolgung im Ausland vor . Hier wurde die Internationale Rechtskommission der UN wieder aktiv und nahm die Arbeit abermals auf.

    Mit dem Bosnienkrieg 1992-1995 und dem danach einberufenen Internationalen Straftribunal für Yugoslawien (ICTY) wurde klar, daß der einzurichtende Gerichtshof sich auch Strafrechtssachen gegen Menschen annehmen werden müsse. Die in den neunziger Jahren in Afrika aufflammenden blutigen Konflikte (z.B. in Ruanda 1994) und die nachfolgend eingerichteten Tribunale machten die Notwendigkeit einer Institution zur Verfolgung besonders von Genozid, systematischen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit deutlich, auch wenn zuvor kein Krieg ausgerufen worden war oder es sich um interne Konflikte handelte. Machthaber auf hoher und höchster (politischer/wirtschaftlicher/militärischer) Ebene hatten bis dato kaum mit Konsequenzen aus ihrem (Fehl-)Verhalten zu rechnen. Ab einer gewissen Seniorität setzte die Strafverfolgung dieser Personen meist aus, sei es aus praktischen (z.B. Flucht in einen neutralen Staat/politisches Asyl) wie aus politischen Gründen (z.B. Vermeidung von Unruhen durch ehemalige Anhänger). Anstelle der Delikte wie Drogenhandel und Terrorismus, die anfangs den Anstoß zu einem Strafgerichtshof gaben, zu denen es aber Meinungsverschiedenen gab, standen nun solche, die direkt mit dem Menschen und der Verletzung seiner Menschlichkeit zu tun haben.

    Die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofes steht diesen Ausführungen folgend nicht wie eine ‚fixe Idee‘ im Raum, sondern in der festen Tradition um Bemühungen nach mehr Verantwortungsbewußtsein im internationalen System. Das Ende des Kalten Krieges und das veränderte Verständnis der Souveränität von Staaten insbesondere bei der Bewältigung internationalen Herausforderungen durch z.B. Konfliktsituationen in der Staatengemeinschaft legten die Grundlage zu einem gemeinsamen Handeln nicht nur auf zwischenstaatlichen sondern auf staatsübergreifender Ebene. Der Vertrag von Rom im Jahr 1999 bildet das bisher eindruckvollste Zeugnis dieser Entwicklung.

    Zustandekommen und beteiligte Akteure

    Maßgeblicher Nucleus aller Bemühungen um einen IStGH waren die UN. Ihre Internationale Rechtskommission hatte früher schon an einem Statut gearbeitet und war auch für den ersten neuen Vorschlag von 1994 verantwortlich. Daraufhin setze die Generalversammlung der UN das "Ad Hoc Kommitee für die Gründung eines Internationalen Strafgerichtshofs" ein, auf dessen Vorschlag hin sie 1995 das "Vorbereitungskommitee für die Gründung eines Internationalen Strafgerichtshofs" einberief. Es sollte einen weithin akzeptierbaren Textvorschlag für ein Statut ausarbeiten, das einer diplomatische Konferenz zum Beschluß vorgelegt werden könne. Das Komitee setzen sich zusammen aus Vertretern von 160 Staaten, darunter die großen und einflußreichen, solche von 11 Internationaler Organisationen und die von über 230 Nicht-Regierungs-Organisationen. Durch die von einem Konsortium aus vielen Nicht-Regierungsorganisationen im Internet geschaffene Plattform www.iccnow.org wurde die Öffentlichkeit nicht nur informiert, sondern aufgefordert, aktiv teilzunehmen z.B. über Diskussionsrunden und Petitionen. Wieviel Einfluß nicht-staatliche Akteure insgesamt ausübten, soll an dieser Stelle nicht geklärt werden. Als Quelle für Interessierte sei auf die o.g. Website, die offizielle Website der UN zum ICC www.un.org/law/icc/ (Verlauf bis 12.09.2003) oder die jetzige Webseite des IstGHs www.icc-cpi.int verwiesen.

    Das Vorbereitungskommitee traf sich über zwei Jahre hinweg bis zur endgültigen Sitzung im März und April 1998, in der es den Textvorschlag vervollständigte. Am 17.Juli 1998 in der Sitzung der UN Konferenz der Bevollmächtigten in Rom haben 120 Staaten für den Vorschlag gestimmt, 21 enthielten sich und sieben dagegen, darunter auch die USA. Im Vertrag von Rom verpflichten sich die Unterzeichner, gemeinsam einen Internationalen Strafgerichtshof zu etablieren, die im Vertrag ausgelegten Prozeduren zu befolgen, die Gerichtsbarkeit des ISTGH anzuerkennen und mit ihm zusammenzuarbeiten, sobald er existiere. Am 11. April 2002 war die notwendige Anzahl von 60 ratifizierenden Staaten erreicht. Damit trat das Statut des IStGHs am 1. Juli 2002 in Kraft. Mit der Wahl und Vereidigung der Richter, des Chefanklägers und des obersten Verwaltungsbeamten sowie mit dem Bezug des Sitzes in Den Haag während des Jahres 2003 sind die Voraussetzungen für die praktische Arbeit, die etwa 2007 bis 2009 voll aufgenommen sein wird, geschaffen. Doch schon jetzt geht die Arbeit voran: Verbrechen während der Auseinandersetzungen in Kongo und in Uganda werden vom Chefankläger seit Juni respektive Juli 2003 untersucht.

    Bedeutung des Vertrags von Rom und seiner Ratifizierung

    In der Internationalen Gemeinschaft war der Nationalstaat bisher ein völlig autarkes System, in dessen interne politische und wirtschaftliche Belange kein anderer Akteur das Recht hatte einzugreifen. Mit der vielfältiger Erfahrung aus den Konflikten der 90er Jahre und der Entwicklung des internationalen Menschenrechts kann niemand mehr den Anspruch zulassen, daß der Mißbrauch der Bevölkerung eines Staates für die internationale Gemeinschaft nicht von Belang sei . Daher umfaßt der Vertrag von Rom eine moderne Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die den Tatbestand des groben Mißbrauchs der Bevölkerung unabhängig von den äußeren Umständen macht. So kann systematische und extreme Mißhandlung durch z.B. Folter, Verschleppung und außergerichtliche Exekutionen auch ohne jegliche Deklaration eines Kriegszustands angeklagt werden. Diese erweiterte Definition ist für Regierungen als Warnung vor den Konsequenzen von Gewalt gegen ihre eigene Bevölkerung zu verstehen . Im gleichen Licht werden auch die früher nirgendwo niedergeschriebenen Tatbestände von sexuellen Gewalt zu Mitteln der Kriegsführung deklariert. Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, gewaltsame Schwängerung, erzwungene Sterilisation, erzwungene Prostitution und ähnliche Arten des systematischen Mißbrauchs können somit erstmals verfolgt werden . Dies ist eine neue Qualität im internationalen Strafrecht.

    Im Statut des IStGH werden klare Grenzen für Untergebene und Befehlshaber in Machtstrukturen, wie sie z.B. in der Armee vorkommen , gesetzt. Das Recht in solchen Strukturen (z.B. daß Untergebene den Befehlen ihrer Vorgesetzen folgen müssen) kann das allgemeine Menschenrecht nicht aufheben oder abwägbar machen, d.h. das hinter einem Befehl stehende Interesse muß sich immer dem Primat des Menschenrechts unterordnen. Es wird also von Untergebenen erwartet, daß sie Befehle ausführen, solange diese nicht eindeutig gegen Menschenrechte verstoßen. Dann muß er sie verweigern. Der Vertragstext legt den verantwortlichen Vorgesetzten, militärisch wie auch zivil, die Pflicht auf, ihrer (Befehls-) Verantwortung gerecht zu werden und ihre Untergebenen zu überwachen und zu kontrollieren. Dies gilt auch in schwierigen Situationen, die früher vielfach als Entschuldigung und Schutzgrund für fehlgelaufene Aktionen herhalten mußten (z.B. schwierige Kommunikations- oder Logistikverhältnisse). Ignoranz oder das bewußte ‚Übersehen‘ von Fehltritten untergegebener Truppen, Paramilitärs oder Polizei sind so leichter faßbar und können verfolgt werden.

    Weiterhin macht der Vertrag erstmals unmißverständlich klar, daß auch für öffentliche Ämter das Humanitäre Recht die oberste Richtschnur und gleichzeitig auch Grenze ist. Die Macht des Amtes immunisiert keine Person vor seiner grundsätzlichen Verantwortung. Handlungen in einem System sind nicht vor genauer Betrachtung sicher, nur weil sie mit in der Logik des Systems notwendig oder gerechtfertigt waren .

    Die Bedeutung des Vertrags von Rom kann nicht unterstätzt werden. Allein die Tatsache, daß sich über 120 Staaten auf ein nicht nur rechtlich, sondern auch politisch wegweisendes Werk einigen konnten, ist beachtlich. Obwohl natürlich die Vertreter der Staaten am Ende den entscheidenden Einfluß hatten, hat doch die breite Beteiligung von NGOs und anderen Interessenvertretern gezeigt, daß dieser Strafgerichtshof, anders als z.B. die hoheitliche Aufgabenwahrnehmung in EU Gremien, die Menschen bewegt und seine Funktion ihnen wichtig ist. Als erster ständiger, vertragsbasierter Internationale Strafgerichtshof, ist der IstGH dafür da, Rechtsstaatlichkeit voranzubringen und zu sichern, so daß die schwerwiegensten Straftaten auf internationaler Ebenen nicht ungestraft vergehen.

  2. Verhalten der USA
    1. Verhalten der US amerikanischen Vertreter im Verlauf des Entstehens des IStGHs
    2. Drei Phasen sind im Verlauf der Zeit auszumachen: a) bis zur Unterzeichnung des Statuts am 17.Juli 1998, b) bis zum Inkrafttreten des ICC Statuts Mitte 2002 und c) danach. Diese Phasen sind von unterschiedlichem Verhalten gekennzeichnet.

      In den Vorverhandlungen zu Rom und auf der Abschlußkonferenz legten die Vertreter USA eine um ihre eigenen Interessen sehr besorgte, aber gesprächsbereite Haltung an den Tag, wie ihr damaliger Chefdiplomat und Botschafter für Fragen um Kriegsverbrechen von 1997-2001 berichtet . Durch ihre aktive, einflußreiche Rolle wurde deutlich, daß sie durchaus den Gedanken einer internationalen Gerichtsbarkeit begrüßten. Zu mehreren Gelegenheiten äußerte Präsident Clinton seine Unterstützung des ISTGHs . Als Beleg in praxi gelten die rege Beteiligung während des gesamten Prozesses und im speziellen die Vorschläge der amerikanischen Delegation zur Definition der strafbaren Handlungen (engl. "Elements of Crime"), zu Verfahrensregeln und Beweisaufnahme (engl. "Rules of Procedure and Evidence").

      Nach der Bestätigung des Status im Juli 1999 durch die Mehrheit der Staaten gegen die Stimmen u.a. der USA, auf deren Betreiben z.B. auch die Mindestzahl der ratifizierenden Staaten auf 60 erhöht wurde, blieben deren Vertreter aktiv, um weiter US-amerikanische Interessen vertreten zu können . Dies sollte deutlich machen, daß sie sich nicht zurückzögen und eine Opposition aufbauen wollten. Außerdem konnten hier einige kritische Fragen weiter vertieft und gelöst werden. Aus dieser Arbeit und ihrem positiven Verlauf heraus ist auch die Unterzeichnung des Vertrages von Rom am 31.12.2000 durch Bill Clinton zu sehen. War sich selbst die Regierungsspitze im Dezember noch nicht schlüssig über die Unterzeichnung, empfahl sie nun der kommenden Administration, weiter am Prozeß beteiligt zu bleiben, da eine Ratifizierung vorteilhaft wäre, den Vertrag aber solange nicht zu ratifizieren, bis einige fundamentale Bedenken aus dem Weg geschafft seien .

      Nach dem Wechsel der amerikanischen Regierungsgewalt, zog die neue Führung es vor, sich nicht weiter zu beteiligen . Als erster Schritt wurde der Hohe Botschafter zum IstGH, der diesem kritisch aber wohlwollend gegenüber stand, samt Stab ausgetauscht. Kurz danach im Frühjahr 2002 machte sich ein bemerkenswerte Wechsel in der Politik gegenüber dem internationalen Gerichtshof bemerkbar. Am 6.May widerriefen die USA ihre Unterschrift unter dem Vertrag von Rom. Danach intensivierten sie ihre Bemühungen, den ISTGH und mit ihm die Idee einer höheren Gewalt zu untergraben, um seine Bedeutung als Mittel der Justiz zu marginalisieren .

      Als erstes machten sie sich im Sicherheitsrat der UN erfolglos für eine Ausnahmeregelung, daß ihrer UN-Friedenstruppen in Ost-Timor unter keinen Umständen an den ISTGH ausgeliefert werden könnten, stark. Als es kurz darauf im die Verlängerung des UN-Mandats in Bosnien ging, drohten die USA mit einer Blockierung dieser und zukünftiger UN-Missionen, wenn nicht für alle Bürger von Nicht-ISTGH-Staaten eine Ausnahmeregelung geschaffen werde und bewegten die anderen zum Einlenken. Die Ausnahmeregelung nach Resolution 1422 fiel jedoch nicht so rigerous aus wie von den USA erhofft, denn sie war auf ein Jahr mit erneuter Vorlage und Notwendigkeit des Wiederbeschlusses beschränkt – also keine automatische Immunität für immer. Mitte 2003 wurde das Mandat mit der Resolution 1487 nochmal mit den gleichen Bedingungen verlängert. Bei beiden Resolutionen hatte die USA ihre Veto-Macht im Sicherheitsrat mißbräuchlich eingesetzt, um der Staatengemeinschaft ein für sich selbst günstiges Mandat abzuzwingen, ohne dabei auf die negative Signalwirkung oder auch rechtliche Probleme zu achten.

      Zweitens versucht die Bush Administration seitdem, Staaten auf der ganzen Welt mit rigiden Mitteln (v.a. Androhung der Kürzung/Aussetzung von finanzieller Unterstützung) dazu zu bewegen, bilaterale Abkommen zu unterzeichnen, die die Auslieferung von Amerikanern an das ISTGH verbieten. Ihr z.T. aggressives Auftreten ist v.a. bei kleinen, stark abhängigen Staaten von Erfolg gekröhnt. Das Ziel dieser sog. "Artikel 98 Abkommen" (nach dem Artikel im Statut, auf das sich die USA dabei berufen, obwohl sie dieses weder ratifiziert haben noch anerkennen) ist, US-Bürger der Strafverfolgung durch das ISTGH zu entziehen. Diese Nicht-Auslieferungsabkomemn schaffen effektiv eine Zwei-Klassen-Gesellschaft für die gröbsten internationalen Verbrechen: auf der einen Seite die USA, deren Vertreter scheinbar unangreifbar sind, und auf der anderen Seite alle anderen, deren Staatsangehörige potentiell der Strafverfolgung durch den ISTGH unterliegen.

      Drittens unterstützte der US-Kongress die Bush Administration in ihrem Bestreben, bilaterale "Artikel 98 Abkommen" abzuschließen, indem er den sog. "American Servicemembers' Protection Act" (ASPA) verabschiedete, der durch die Unterzeichnung durch Präsident Bush am 03.08.2003 Gesetz wurde. In ihm sind vier wesentliche Anti-ISTGH Regelungen festgelegt: (1) ein generelles Verbot der Zusammenarbeit aller Regierungs- und Verwaltungsstellen der USA mit dem ISTGH; (2) die sog. "Invasion von Den Haag" Klausel, die den Präsidenten ermächtigt, alle notwendigen und gebotenen Mittel einzusetzen, um US-Personal, welches vom ISTHG verhaftet oder gefangengehalten wird, zu befreien; (3) die Bestrafung der Staaten, die dem Vertrag von Rom beigetreten sind: sie bekommen keine (militärische) Hilfe mehr; (4) ein Verbot der amerikanischen Beteiligung an Friedenseinsätzen, wenn nicht vorher die Immunität des US-Personals vor dem ISTGH garantiert wird.

      Neben diesen drei großen ‚Schlachtfeldern‘ gab es noch einige ‚Nebenschauplätze‘, die nicht weniger bedeutend in ihrer Tendenz, aber weniger öffentlichkeitswirksam waren. So beschäftigte sich der UN-Sicherheitsrat im August 2003 mit einer Resolution, die die Sicherheit von humanitäre Kräften in Einsatz verbessern sollte, indem die Staatengemeinschaft dazu gedrängt wird, solche Verbrechen zu verfolgen. Die USA verweigerten sich jedoch, diese Resolution mitzutragen, solange in ihr ein Bezug zum ISTGH hergestellt wird. Die von ihnen angefochtene Passage stellte jedoch lediglich fest, daß Angriffe auf humantiräres Personal ein Kriegsverbrechen im Sinne des Statuts von Rom darstellen und von ihm verfolgt werden könnten. Im selben Monat konnte die UN nur Friedenstruppen nach Libyen entsenden, nachdem den Truppen auf Betreiben der USA Immunität gewährt wurde. Diese Maßnahme war dazu gemacht, den ISTGH zu untergraben. Sie verstieß zudem gegen andere Aspekte internationaler Gesetze (siehe Kapitel 3.1). Die Mitglieder des UN Sicherheitsrates war gezwungen, zwischen zwei schlechten Alternativen zu wählen - entweder keine oder ‚immunisierte‘ Friedenstruppen zu schicken -, weil ihnen die USA die eigentlich angestrebte verwehrte .

      Daß die USA ihre Drohungen gegenüber Akteuren war machten, selbst wenn diese sie auf anderen Gebieten unterstützen, ist gut am Beispiel kleinerer Staaten zu erkennen, beispielhaft sei hier Litauen genannt. Als einer von 35 betroffenen demokratischen Staaten, die ein bilaterales Abkommen mit den USA nicht unterzeichnen wollten, verweigerten die USA ihm die Militärhilfe. Auch eine zugesagte, finanzielle Unterstützung für die lattischen Truppen im Irak wurde zurückgehalten . Auf dem nicht-militärischen Sektor haben die USA ebenso Schritte gegen ‚widerspenstige‘ Staaten eingeleitet, die in einem Protestbrief des Direktors von Human Rights Watch beispielhaft genannt werden: Warnungen und Androhung des Verlusts von Aufbauhilfe und von Unterstützung beim Katastrophenschutz, wenn die Regierungen keine bilateralen Abkommen abschlössen. In manchen Fällen werde jedoch auch Geld bezahlt, damit die Regierungen den Vertrag von Rom nicht unterzeichneten . Dieses Verhalten habe zur Folge, daß das Interesse der Staaten an der Ratifizierung des Vertrags von Rom zurückgehe. Als direkte Konsequenz des US-amerikanischen Drucks ratifiziere z.B. Georgien ihn nicht und habe darüberhinaus auch noch ein bilaterales Abkommen abgeschlossen.

    3. Interessen hinter dem Verhalten
    4. Aufgrund der ausführlichen Publikationen des Chefdiplomats Scheffer können wir heute gut nachvollziehen, mit welcher Zielsetzung die US-amerikanische Delegation in die Vorverhandlungen zum Vertrag von Rom getreten sind, wie sie sich entwickelt haben und wo sie standen, als die USA sich praktisch aus den Verhandlungen zurückgezogen hat. In den vorhergehenden Kapiteln sind vielen von ihnen schon angeklungen und die daraus folgenden Handlungen erwähnt worden, daher soll uns eine kurze Auflistung hier genügen.

      Laut waren Ziele (a) die Sicherung einer signifikante Rolle für den UN Sicherheitsrates bei der Zuweisung von Fällen an den Gerichtshof, (b) die Ausklammerung des Drogenschmuggels und des Verbrechen der Aggression, das schwer zu definieren ist, und (c) die weitere Untersuchung ihrer großen Sorge um die Einbeziehung von Taten des internationalen Terrorismuses. Neben diesen vorher postulierten Zielen sind darüber hinaus aus den Verhandlungen noch andere zu erkennen, die später auch genannt werden : (d) die Durchsetzung des Komplimentärsystems, daß sich also nationale und internationale Gerichtsbarkeit gegenseitig ergänzen und sich nicht Fälle streitig machen; (e) die Festlegung der Regeln für die Kooperation mit dem ISTGH, d.h. wie die Staaten mit ihm zusammenarbeiten, was für Rechte und Pflichten beide Seiten haben; (f) der Schutz für eigene Geheimdienstinformationen, so daß diese nicht von anderen Staaten über den ISTGH auspioniert werden können; (g) die Definition der Verantwortung für Befehlshabende; (h) welche Straftaten überhaupt gerichtsbar sind; (i) Ausweitung der Gerichtsbarkeit auf interne bewaffnete Konflikte und Verbrechen gegen Frauen; (k) Schaffung einer hohen Hürde bei der Definition von Kriegsverbrechen; (k) Schaffung einer hohen Hürde bei der notwendigen Anzahl von ratifizierenden Staaten und (l) Klärung der Kostenübernahme. Aus den Verhandlungen lassen drei Primärziele extrahieren : (1) ein unbedingter und unverhandelbarer Schutz der US Amerikaner vor der Verfolgung durch den ISTGHs, zumindest der Truppen und der Administration bei Auslandseinsätzen, am besten jedoch jedes US Bürgers; (2) Mißbrauch des IStGHs für politisch motivierte Anschuldigungen verhindern; (3) Schutz der Personen aus Nichtmitgliedsstaaten vor Anklage und Strafverfolgung, besonders ‚natürlich‘ von Amerikanern.

      Diese Anliegen wären nicht zu vermitteln und durchzusetzen, wenn nicht eine schlüßige und überzeugende Argumentation dahinter stünde. Das nachfolgende Kapitel gibt die wichtigsten Argumentationszusammenhänge wieder.

    5. Begründung & Legitimation

    Ich möchte auch hier die schon ausgearbeiteten Phasen im Verhandlungsverhalten der USA vor dem Hintergrund der im vorhergehenden Kapitel aufgeführten Interessen aufgreifen, um den Gründen dafür und dem Legitimitätsanspruch nachzugehen.

    In der Zeit der Verhandlungen haben die USA der Idee eines Internationalen Strafgerichtshofes begrüßt, aber nicht um jeden Preis gefordert. Sie argumentierten vor allem aus prozeduralen und praktischen Gesichtspunkten heraus, nicht aus grundsätzlichen Erwägungen, wie viele der anderen Teilnehmer. Wenn der ISTGH bestehe, könne man ihn sofort mit seinen Prozeduren zur Verfolgung von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerwiegenden Kriegsverbrechen aktiven. Dies sei ein signivikanter verfahrenstechnischer Vorteil, wenn man bedenkt, daß sonst erst ein langwierigen Prozeß zur Aufsetzung eines Tribunals, wie es in Jugoslawien und Ruanda der Fall war, begonnen werden müsse . Ein dauernd bestehender Gerichtshof sei darüberhinaus kosteneffektiv, sichere die Kontinutät und Einheitlichkeit der Rechtssprechung und sei effektiver in der Abschreckung als die unsichere Voraussicht auf teure ad hoc Tribunale . Daß die USA trotz ihrer manigfaltigen Bedenken an den Verhandlungen überhaupt teilnahmen und schließlich auch den Vertrag Ende 2000 unterzeichneten, begründen deren Vertreter mit der durchaus zutreffenden Feststellung, daß sie sonst keinen Einfluß auf ein solch wichtiges, die Staatengemeinschaft formerndes Gremium gehabt hätten .

    Danach orientierten sich die von den Vertretern der USA offen gelegten Beweggründe für ihre Ablehnung entlang der Kritik, die die Delegation schon in den Verhandlungen hatte erkennen lassen. Ihre Sorge galt vor allen Dingen, wie sie ihre besondere Rolle als Weltmacht und internationaler Sicherheitsakteur weiter wahrnehmen sollten, wenn man ihnen ein potentiell noch mächtigeres Organ an die Seite oder gar über sie stellte. In den Augen der amerikanischen Delegation sollte allein die USA Recht über ihre Bürger sprechen, kein anderes Organ, schon gar nicht eins, daß von anderen, feindselig gesinnten Staaten beeinflußt sein könnte. Dies müsse immer und vor allem auch dann gelten, wenn die USA (noch k)ein Mitglied des Vertrages sei. Es könne nicht sein, daß ein Nicht-Mitglied durch seine Nicht-Beteiligung an einem freiwilligen Vertrag so viel schlechter gestellt sei, als Mitglieder. Hier müsse eine Korrektur her .

    Auf der rein juristischen Ebene argumentierten die Gesandten mit der Behauptung, daß internationales Gewohnheitsrecht es keinem Staat erlaube, ganz egal ob Mitglied im Vertrag von Rom oder nicht, die hoheitliche Gewalt der Strafverfolgung an ein vertragsgebundenes Gremium wie den ISTGH zu delegieren, oder im Falle der Anwendung der universellen Gerichtsbarkeit ein Staat kein Verfahren anstrengen oder an den ISTGH geben dürfte, ohne den Nationalstaat des Betroffenen vorher zu konsultieren . Weiter sei nicht zu verstehen, warum ein Staat, der sofort Mitglied werde, sich bei Erweiterungen des Statuts dazu entscheiden dürfte, ob er diese für sich gelten lassen wolle, ein nach der Erweiterung hinzugekommender Staat aber das komplette Statut mit den Erweiterungen annehmen müsse .

    In den weitergehenden Treffen nach dem Abschluß der Vertragsverhandlungen zu Rom wurden unter reger Beteiligung der US-Delgation viele der ausgemachten uneindeutigen Stellen durch nachfolgende Ausführungsbestimmungen berichtigt oder spezifiziert, siehe dazu ausführlich Scheffer 2001, S.74-87. Es blieben aus Sicht der USA noch ungelöste Probleme zurück, u.a. die ihrer Meinung nach noch immer bestehende Möglichkeit, daß US-amerikanische Truppen vom ISTGH verurteilt werden könnten, daß noch keine Definition für das Verbrechen des Angriffskriegs gefunden worden sei, daß noch keine geeigneten Richtlinien für die Wahl des Chefanklägers definiert worden seien, daß die USA noch existierenden Verträge mit anderen Staaten prüfen oder neue abschließen müsse, so daß keine Auslieferung von US-Bürgern zum ISTGH auf diesem Weg geschehen könnte ("Artikel 98 Abkommen"), und daß das amerikanische Straf- und Militärgesetz noch ergänzt werden müsse, um die volle Kompatibilität und Komplementarität mit dem ISTGH Statut zu sichern .

    Nach der endgültigen Absage an den Vertrag von Rom durch die Rücknahme der Unterschrift am 6.Mai 2002 folgten wie im vorherigen Kapitel beschrieben diverse Maßnahmen – darunter vor allen Dingen die Artikel 98 Abkommen – , um das ultimatives Ziel zu erreichen, daß kein Bürger der USA mehr vom ISTGH verurteilt werden kann. Die Bush Administration verteidigt ihr Bestreben nach solchen zwischenstaatlichen Verträgen damit, daß sie nicht an einen Vertrag gebunden sein wolle, den sie weder unterzeichnet noch ratifiziert hat . Ihrer Auffassung nach seien die bilateralen Abkommen im Einklang mit dem Vertrag von Rom, der es den Regierungen erlaubt, bei konkurrienden Forderungen zur Strafverfolgung der heimischen das Vorrecht zu geben. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Nationalität des Täters nicht mit der des Territoriums, in dem die Tat geschah, übereinstimmt. Dann haben beide Seiten einen Anspruch auf Strafverfolgung. In einigen solchen Fällen erlaubt der Vertrag von Rom, daß die Staaten untereinander ausmachen, welche die Strafverfolgung aufnimmt. Somit seien bilaterale Verträge dieser Form legitim .

    Die eben dargestellte Sichtweise provoziert geradezu eine Auseinandersezung um zentrale Aspekte, die die USA anscheinend so nicht wahrgenommen oder unterbewertet hatten, so daß sie die Rücknahme der Unterschrift nicht verhindern konnten und die Chance einer nachträglichen Ratifizierung vertan ist. Damit fahre ich im folgenden Kapitel 3.1 fort.

  3. Analyse
    1. Unbedachte oder unterbewertete Gesichtspunkte
    2. Zentrales Interesse der USA war und ist, daß eigenen Truppen nicht vor ein internationales Tribunal gebracht werden können. Daher droht sie, internationale Einsätze personell nicht zu unterstützen, in denen sie einer internationalen Gerichtsbarkeit unterstünden. Kurioserweise ist dies aber bei den amerikanischen Truppen in Bosnien und dem Kosovo schon der Fall. Die Bombardements über Bosnien (1995) und dem Kosovo/Serbien (1999) könnten ggf. vor dem Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag verhandelt werden. Somit sei die Krise um den ISTGH eine künstlich geschaffene .

      Die von Scheffer zur Frage der Vorteile einer Unterzeichnung des Vertrages hervorgebrachten Argumente lassen sich nach dem vollkommenden Rückzug der USA vom ISTGH nur mit umgekehrten Vorzeichen aufführen: Als nicht mehr beteiligte Partei wird es der USA in Zukunft nicht mehr möglich sein, die Richtung des ISTGHs in irgendeiner Art und Weise zu beeinflussen, wenn es um Vertragsänderungen, Anhänge etc. geht. Selbst wenn sie den Vertrag nicht ratifiziert hätten, die Unterzeichnung aber bestehen würde, hätten die USA immer noch eine wesentliche stärkere Position als jetzt. Die anderen Staaten würden in den Kommitees eher für die Sichtweisen, Sorgen und Vorschläge aufnahmebereit sein, so wie sie es schon in den Vorverhandlungen waren. Die Einstellung der Richter, Ankläger und des anderen Personals des ISTGHs zu den USA und seinem Personal wäre eher positiv, wenn die USA Unterzeichnerstatus hätte oder ratifiziert hätte. Dies ist ein wichtiger Faktor zum Schutz US amerikanischer Interessen und würde dem Schutz von US Bürgern dienen – das zentrale Interesse der USA. Außerdem würden sich andere Staaten zurückhalten, die USA anzuklagen, solange diese noch im Ratifizierungsprozeß seien, damit dieser nicht unterbrochen werde. Selbst für die bilateralen Abkommen und somit Strafverfolgung ohne ISTGH wäre die Signierung oder Ratifizierung ein Vorteil, denn dann geschähen diese im legalen Rahmen des Vertrags von Rom. Als Nicht-Mitglied fiele es der USA vor allem auch schwerer, sich als Verfechter von internationaler Gerichtsbarkeit zu profilieren und Institution wie Ad-hoc Tribunale zu fordern – ihre Glaubwürdigkeit würde leiden. Eine Unterzeichnung und nachfolgende Ratifizierung würde innerpolitisch auch den positiven Effekt haben, daß bundesstaatliche Gesetze auf den neuesten Stand gebracht werden müßten. Aus den genannten Gründen, weil es praktisch und im Interesse des USA war, hat die Clinton Administration den Vertrag unterzeichnet. Nicht-Unterzeichnung und Opposition zum ISTGH seien weder praktisch noch im Interesse der USA, stellt Scheffer dazu abschließend fest .

      Nach der Absage an das ISTGH haben die USA wie in Kapitel 2.1 beschrieben auf UN Resolutionen gedrängt und sie schlossen (und schließen) bilaterale Abkommen mit anderen Staaten ab, um ihr zentrales Interesse, den Schutz von Amerikanern vor dem ISTGH, nachzugehen. Viele Autoren sind der Meinung, daß die Resolutionen 1422 und 1487 des Sicherheitsrats nicht rechtens waren, weil (a) die Vorbedingungen für solche nicht erfüllt waren, namentlich eine konkrete Bedrohung (denn die ‚Bedrohung‘ durch den ISTGH ist sogar aus der Sicht der USA nicht aktuell sondern nur potentiell); (b) die USA die Bedeutung des Artikels 16 und 27 des Statuts von Rome so verdrehen, daß die Unabhängigkeit des Gerichtshof geschwächt wird; und (c) der Sicherheitsrat seine Zuständigkeit, die durch die UN Charta definiert wird, mit seinen Handlungen überschritten hat . Daß die USA auch bei anderen Resolutionen so darauf aus waren, keine Referenz zum ISTGH im Text erscheinen zu lassen, auch wenn es nur eine Tatsachenfeststellung ist und einem von ihnen unterstützten Zweck dient, wird z.B. von Human Rights Watch als "schändlich" und nur einem ideologischen "Kreuzzug" dienend angeprangert, weil es Bemühung um den Schutz von humanitären Kräften kompromitiere .

      Die USA stützen sich bei den bilateralen Abkommen auf den Artikel 98 Absatz 2 des Vertrags von Rom, obwohl sie damit von einem Recht Gebrauch macht, daß nur Mitgliedsstaaten des Statuts von Rom zusteht. Unabhängig davon sind einige Autoren der Auffassung, daß die USA mit den bilateralen Abkommen das Statut ausnutzten und mißbrauchten . Die von den USA vorformulierten und durch den jeweils unterzeichnenden Staat unabänderlich hinzunehmenden bilateralen Abkommen sind a) von ihrem Text her nicht mit dem Statut vereinbar seien, z.B. weil es sich generell über alle US Amerikaner erstrecke und keine Spezifizierung vornehme, und b) der entsprechende Passus im Statut eigentlich nur für schon zur Zeit des Inkrafttretens bestehende bilaterale Abkommen gedacht war, um diese nicht in Konflikt mit dem Statut zu bringen . Demnach hätten die USA das Statut gleich dreimal mißbräuchlich interpretiert. Ergänzend fügen andere Autoren noch hinzu, daß diese Abkommen nicht nur konträr zum Artikel 98 seien, sondern auch einen zentralen Punkt im Statut von Rom, nämlich daß das ISTGH nationale Gerichtsbarkeit überstimmen kann, wenn die Strafverfolgung unzureichend verläuft, untergraben. Sie verstießen damit gegen Internationales Vertragsrecht, weil sie Ziele und Zweck eben jenes Vertrages untergraben, unter dessen Inanspruchnahme sie die Abkommen schlössen . Weitere Argumente und Analysen zu den bilateralen Abkommen sind zu finden bei .

      Die Bush Administration rechtfertigt ihr Streben nach den bilateralen Abkommen v.a. damit, daß sie nicht an einen Vertrag und dessen praktischen Auswirkungen gebunden sein möchte, den sich nicht unterzeichnet habe. Dies ist jedoch eine Mißinterpretation. Niemand behauptet, daß die USA als Staat an ihn gebunden sei. Es geht vielmehr darum, wie andere Staaten ihr hoheitliches Recht ausüben, Verbrechen auf ihrem Territorium zu verfolgen, ganz unabhängig von der Nationalität des mutmaßlichen Verbrechers. Dazu gehört, daß die Staaten die Strafverfolgung an ein anderes Gremium deligieren dürfen, also auch den ISTGH. Dabei ist irrelevant, ob der Staat der Nationalität des mutmaßlichen Verbrechers den Vertrag von Rom unterzeichnet hat .

      Auf starker Kritik stößt die rüde amerikanische Vorgehensweise beim Abschluß der Immunitäts-Abkommen. Zögernden Staaten wird offen gedroht, daß z.B. wichtige Finanzzuschüsse für sie ausbleiben werden oder die bisherige Zusammenarbeit massiv leiden werde, wenn sie nicht ein Nicht-Auslieferungsabkommen mit den USA abschlössen. So schüchtere die Bush Administration einige ihre Schlüsselverbündeten auf irrationale Weise ein, was eine kurzsichtig und kontraproduktive Herangehensweise an die US Außenpolitik sei . Das Einfrieren der militärischen Aufbauhilfe für sechs der sieben NATO Beitrittskandidaten ist ein Beispiel, denn bisher war es Priorität für das US Außenministerium, die NATO zu erweitern. Diese Taktik sei geeignet, der USA mehr zu schaden als dem ISTGH, z.B. durch den Verlust von Partnern im Kampf gegen den internationalen Terrorismus .

      Die Inkonsequenz in der amerikanischen Haltung zeigt sich noch an anderen Stellen. Im ASPA ist festgelegt, daß militärische Gewalt angewendet werden darf, um amerikanische Bürger aus Gefangenschaft durch den ISTGH zu befreien, diese Regelung aber aufgehoben werden kann, wenn es dem nationalen Interesse dient. Man könnte auch anders lesen: Wir begrüßen, daß ihr andere vor Gericht bringt, aber nicht uns. Gleichzeitig verlangt Washington, daß Staaten ohne Vorbehalte mit dem ICTY zusammenarbeiten, aber auf keinen Fall mit dem ISTGH – so z.B. von Jugoslawien . Es würde insgesamt auf eine zweigeteiltes System in Strafsachen hinauslaufen: auf der einen Seite die USA und ihre unmittelbaren Unterstützer, auf der anderen Seite die restliche Staatengemeinschaft. Solch ein System ist niemandem zu vermitteln und schwerlich zu begründen, handelt es sich bei den dort behandelten Verbrechen doch um die gravierendsten gegen Menschen. Und diese haben nach dem allgemein akzeptierten Menschenrecht universielle Rechte, die überall in gleicher Art und Weise geschützt werden müssen.

    3. Hintergrund des amerikanischen Verhaltens
    4. In einer Analyse, wie die USA mit der ihnen entgegengebrachten Kritik umgehen, fällt auf, daß sie überwiegend eine absolute Position einnehmen, in der Form, daß sie Forderungen haben und versuchen, diese auch gegen Wiederstand durchzusetzen. Zumindest heutzutage ist das Thema ISTGH kein Gesprächsthema, ein Konsens ist nicht mehr in Sicht. Die US-amerikanische Seite ‚kämpft mit harten Bandagen‘ (siehe oben), weil sie glaubt, nur so ihre Interessen noch durchsetzen zu können.

      Die USA als z.Z. einzige Supermacht auf der Welt ist sich gewiß, daß andere Staaten immer wieder zur Bewältigung von Krisen an sie herantreten werden – das geflügelte Wort von der "Weltpolizei" ist bekannt. Das Hauptargument gegen die Kritik aus der internationalen Gemeinschaft ist demnach, daß es doch auch im Interesse der anderen sei, wenn die USA weiter ihre Rolle übernehme könne. Aber dazu müssten ihre Bedenken auch besonders berücksichtigt werden, denn niemand sonst habe mit den gleichen Problemen zu tun und könne sie somit nachvollziehen. Es läßt sich herunterbrechen auf die einfache Formel: "Wir sind anders als alle anderen: von uns wird besonderes erwartet, daher brauchen wir auch eine besondere Behandlung".

      Diese Einstellung ist im Licht der Tradition der amerikanischen Außenpolitik zu sehen, die seit der Staatsgründung von zwei Denkrichtungen geprägt ist: Alexander Hamilton, ein Industrieller aus dem Nordwesten der USA, vertrat eine "realistische", aktive und anglophile Außenpolitik. Intensiver Außenhandel und somit weit gestreuten ökonomischen und strategischen Interessen der USA kennzeichnen diese Politik. Dank der Militärmacht als Rückgrat der Außenpolitik kann das moralische, politische und nicht zuletzt wirtschaftliche Gewicht der USA vergrößert werden ("Globalismus"). Thomas Jefferson verfolgte dagegen eine vielmehr idealistische Außenpolitik mit starker Anlehnung an die Ideologien der Französischen Revolution. Die demokratischen Werte der USA sollen zwar durch friedliche Überzeugung vermittelt werden, aber eine Einmischung in z.B. europäische Angelegenheiten kommt dazu nicht in Frage ("Isolationismus"). Auch heute noch beeinflussen diese Denkweise die amerikanische Außenpolitik. Sie träten besonders dann hervor, wenn die USA Phasen des Umbruchs durchlaufen, etwa nach Wegfall des "Kriegsgegners USA" . Die Entwicklung besonders seit dem 9. November 2001 kann man in diesem Sinne als eine für amerikanische Sicherheitspolitik "typische" Umbruchsphase sehen, nach der sie wieder mehr in die Richtung "Globalismus" tendieren.

    5. Der europäische Anteil am Verständigungsprozeß

    Wir müssen verstehen und anerkennen, daß die Beteiligung der USA den Gerichtshof in vielfacher Art und Weise stärken könnte: indem sie Geld und andere Versorgungsgüter beisteuert, mit Justiz- und Untersuchungspersonal unterstützt, für Sicherheit bei Untersuchungen sorgt, Informationen über den Verbleib von flüchtigen Angeklagten über den mächtigen Geheimdienst beschafft und ihre diplomatischen, militärischen und wirtschaftlichen Kontakte und Mittel nutzt, um andere Staaten dazu zu überzeugen, dem Urteil des ICC zu entsprechen . Daß sich die Vertreter der USA über diese Aspekte klar sind, ist an vielen Stellen dokumentiert . Das Argument der weltpolitischen Bedeutung als einzige verbliebene Supermacht mit Anspruch auf eine besondere Beachtung ihrer Interessen, damit sie ihrer Rolle weiter gerecht werden kann, die sie von anderen Staaten immer wieder eingefordert sieht, betonen nicht nur ihre Vertretern .

    Den Unterhändlern mag diese Haltung als reichlich unilateral und voreingenommen erscheinen, sie paßt nicht in das europäsiche Bild von Zusammenarbeit von Staaten hin auf ein für alle erstrebsames Ziel, für das jeder die eigenen Interessen ein wenig zurücknehmen muß. Um diesen Unterschied zu verstehen, müssen wir den Hintergrund und die Geschichte des amerikanischen Staats sehen und wie sie das Denken und Erleben der Amerikaner geprägt haben, betrachten. Die USA ist ein riesiger Staat, dessen Herausforderungen dementsprechend groß sind: in den Gründungsjahren die Erschließung des Westens und die Sezessionskriege, im letzten Jahrhundert die Bewältigung der Weltwirtschaftskrise und die Integration der farbigen Bevölkerung, heute die Sozialproblemen aus der immer weiter aufklappenden Schere zwischen Arm und Reich. Niemals nach 1871 gab es eine kriegerische Auseinandersetzung auf amerikanischen Boden, Grenzkonflikte oder offenen Krieg gegen Nachbarn – alles Augenmerk konnte auf den eigenen Bedürfnissen ruhen. Amerikanische Politik hatte in erster Linie mit dem eigenen Interesse zu tun und nicht so sehr mit dem ihrer wenigen und um Größenordnungen weniger bedeutenden Anrainerstaaten.

    Diese Perspektive auf sich selbst und der unumstößlicher Glaube, daß der amerikanische Weg der einzig richtige sei, können viele Europäer nicht nachvollziehen. Gründe hierfür können im unterschiedlichen Selbstverständnis der Staaten Europas gefunden werden. Im zur gesamten Welt vergleichsweise kleinen Siedlungsgebiet Europa leben seit mehreren tausend Jahren viele Völker mit unterschiedlichen Lebensgwohnheiten und Standards relativ dicht nebeneinander. Seit dem Altertum gibt es immer wieder Auseinandersetzungen um Einflußgebiete und Ressourcen. Die Gesellschaften in der ‚Alten Welt‘ mußten nicht zuletzt durch blutige Kriege lernen, daß ein friedvolles und für beide Seiten nutzvolles Miteinander trotz gegenteiliger Interessen nicht ist, wenn jede Seite auf ihrem Standpunkt und der Durchsetzung ihrer Interessen besteht – Komprißbereitschaft entwickelte sich zur Lebensnotwendigkeit. Ein Staatenverbund wie die Europäische Union wäre ohne diese Bereitschaft nur schwer, wenn überhaupt, möglich gewesen.

    Die europäischen Staaten teilen die Bereitschaft und Perspektive auf die jeweils anderen. Dies war für die USA historisch nie nötig und wird daher auch nicht als hilfreich bei der Bewältigung von Interessenkonflikten eingestuft. Hier müßte eine gemeinsame Verständigungskultur gefunden werden, von beiden Seiten.

    Eine zweiter Unterschied ist die Herangehensweise in der Argumentation. Die europäischen Vertreter debattierten mit einer praktischer Sicht auf die Dinge, d.h. die Relevanz von Themen wurde daran gemessen, ob und wie oft sie praktisch auftreten könnten. Dies mag auf die Erfahrung bei der Schaffung eines gemeinsamen Europas zurückgehen. Die der USA haben sich dagegen z.T. mit einer sehr theoretischen, grundsätzlichen Sichtweise in den Verhandlungen präsentiert. Hier öffnete sich eine Kluft im Verständigungsprozeß. Die zwei Parteien hatten unterschiedliche Gesprächsebenen, die erschwerten, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die Frage ist folglich, ob beide Seiten sich genug angestrengt haben, um eine gemeinsame Gesprächsebene zu finden, ein gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Aus europäischer Sicht würde dies sicher bejaht werden. Die Vertreter der europäischen Staaten sind in den Verhandlungen auf viele der Forderungen der amerikanischen Gesandten eingegangen und haben sich intensiv mit der größten Sorge der Amerikaner, daß der IStGH als Spielzeug nationaler politischer Interessen mißbraucht werden könne, auseinandergesetzt . Leider hat diese offene Haltung am Ende durch die Erklärung der amerikanischen Regierung, sie ziehe ihre Unterschrift zurück, werde den Vertrag von Rom in der jetzigen Form dem Senat nicht zur Ratifizierung vorlegen und damit auch kein Mitgliedsstaat werden ihr Ziel, die USA ‚ins Boot zu holen‘, nicht erreicht.

    Die Ablehnung des Vertrages von Rom begründet Scheffer auch mit dem Umstand, daß am Ende zu wenig Zeit gewesen sei, um die in geschlossenen Expertengruppen überarbeiteten Papiere einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Hier muß man sich fragen, ob es nicht tatsächlich besser gewesen wäre, die Konferenz zu verlängern oder eine Nachfolgekonferenz einzuberufen, bis zu der alle Staaten ihre weitere Kritik hätten einbringen können. Andererseits kann eine Verhandlung über den Wortlaut eines nur 71 Seiten starken Papiers nicht unendlich lange dauern und muß nach über vierjähriger Vorarbeit auch zu einem Schluß kommen. Hier hätten die anwesenden Vertreter der Staaten vielleicht einen besseren Kompromiß finden können.

  4. Fazit

Der Internationale Strafgerichtshof ist nicht wie von einigen Beobachtern orakelt nach dem Abwenden der USA zur Makulatur verkommen, sondern hat seine praktische Arbeit aufgenommen. Unbestritten bleibt die Einschätzung, daß unter Beteiligung der USA der IStGH eine wesentliche größere Strahl- und Überzeugungskraft gegenüber Beitrittskandidaten hätte und die praktische Arbeit bei der Anklage (z.B. der Dingbarmachung der Angeklagten) und der Ausführung von Urteilen erleichtern würde. Dies ist insbesondere der Fall, weil dann nicht die z.Z. seitens der USA mit Verve vorangetriebenen bilateralen Abkommen nach Artikel 98 bestünden, die die Auslieferung von US-Bürgern an das IstGH verbieten und damit praktisch die Immunität dieser bedeutet. Zur Debatte steht noch, ob diese Abkommen tatsächlich einen Einfluß auf die Anwendbarkeit des Statuts haben. Die EU zumindest hat solche Abkommen als unvereinbar mit dem Statut und daher illegal erklärt, und keiner der EU-Staaten hat eines unterzeichnet . Es bleibt die Frage, wie die beiden Seiten, also IStGH Mitgliedsstaaten ohne und solche Staaten, die mit der USA einen Vertrag nach Artikel 98 abgeschlossen haben, in Fragen von internationaler Gerichtsbarkeit und Zusammenarbeit miteinander umgehen.

Es wird sich zeigen, wie die Staaten in kommenden Verhandlungen um internationale Verträge auf die USA und ihre Forderungen reagieren werden. Sie werden sich an das ‚Tauziehen‘ um den IStGH erinnern und möglicherweise schlußfolgernd, daß die Gewährung von Eingeständnisse an die USA ihre eigene Position nur schwächt und am Ende sowieso nicht die erhofften Folgen hat. Ebenso interessant mag die Frage sein, ob die in der Einleitung postulierte Kantsche These des "demokratischen Friedens" einer wissenschaftlichen Betrachtung standhält und dann als Basisannahme für das IStGH als stabil gelten kann. Auf ihr basieren die sicherheitspolitischen Aktionen der letzten Jahre (z.B. im Kosovo 1999 durch die NATO), denn "die Demokratisierung nichtdemokratischer Länder gilt als probates Mittel zur Ausbreitung stabiler Friedenszonen" . Aber dies geschieht z.T. ohne Rückgriff auf die vorgeschriebenen Verfahren der Charta der Vereinten Nationen, die jedoch extra geschaffen wurden, um Alleingänge in der Gewaltanwendung zu vermeiden. "Die moralische Qualität der Demokratie gilt vielen Sicherheitspolitikern und -experten als ausreichender Grund dafür, dass die Allianz der Demokratien die Gewaltanwendung gegen innere und äußere Friedensstörer beschließen dürfe."

Ich finde es ist mit Blick auf die internationale Gemeinschaft und den gerade etablierten Internationalen Strafgerichtshof bedenklich, daß die ihn schaffenden Staaten auf der einen Seite eine Institution gründen, die die Welt, polemisch ausgedrückt, ein wenig ‚besser‘ machen soll, gleichzeitig aber schon existente Institutionen, wie die UN, die in meinem Verständnis ein ähnliches Ziel verfolgen, durch ihr Handeln untergraben. Können Demokratien also den Königsweg zum Weltfrieden für sich beanspruchen und was müssen sie tun, um ihre Friedensfähigkeit in schwierigen Zeiten zu bewahren ? Diese Fragen sollen und können hier jedoch nicht beantwortet werden und verbleiben für eine weiterführende Bearbeitung. Sie zeigen aber eine Richtung, in die man das hier behandelte Thema zum Verhalten und Verhältnis der USA gegenüber dem ISTGH weiter entwickeln könnte.