Du sitzt im Seminar, der Stoff ist
zwar interessant, aber irgendwie kann er dich nicht fesseln – unwillkürlich
schweifen deine Gedanken ab. Es ist wieder so ein Tag, an dem du von fernen Ländern,
fremden Kulturen und ein bißchen Abenteuer träumst. Ja, warum denn diesen
Traum nicht in die Tat umsetzen? Hier ein kleinen Betrag, der Einblicke geben
und Lust auf Ganz-weit-weg machen soll, in meinem Fall Neuseeland (‚NZ‘) und
in kleinen Auszügen auch Australien (‚OZ‘).
Die letzte Prüfung war vorüber, die
Aufregung hatte sich kaum gelegt, da wurde mir erst klar: in wenigen Tage würde
ich meinen Fuß am anderen Ende der Welt auf unbekanntes Terrain setzen. Ein
Jahr in Neuseeland mit Studium und Praktikum und einigen Wochen in Australien
standen mir bevor. Erst wollte ich an der University of Auckland mein
Hauptstudium der Computervisualistik fortführen und dann mein Pflichtpraktikum
an dem gerade gegründeten Human
Interface Technology Labarotory (HITLab) an der Canterbury University in
Christchurch
absolvieren. Zwischendurch blieb mir noch genügend Zeit, Neuseeland und auch
Teile von Australien zu erkunden. In Auckland angekommen, viel es mir
nicht schwer, mich in den sehr kosmopolitischen Lebensstil der mit ca. 1Mio.
Einwohnern größten Stadt des ‚Lands der weißen Wolke‘ (so nennen die
Ureinwohner, die Maori, ihre Heimat) Eins muß man allerdings lange suchen:
eine Bäckerei mit Vollkorn- oder zumindest Mischbrot. Nicht nur meinem an
deutsches Brot gewöhnten Magen ging es so, daß er nach einiger Zeit das Weißbrot
einfach nicht mehr haben wollte, und ich sehnsüchtig nach Abwechslung und
Substanz im monotonen und pappigen Weißbrotalltag geschaut habe. Ein heißer
Tip half mir dann weiter: ich sollte nach einer ‚German Bakery‘ suchen,
darunter verstehen die Kiwis eine Bäckerei, die von einem Deutschen, Schweizer
oder Osterreicher geführt wird und die in jeder Großstadt irgendwo, meist gut
versteckt und als Geheimtip gehandelt, zu finden ist. Um kurz noch beim Essen zu bleiben: Die Mensa gehört bei uns so zur Uni wie das Weihwasser zur Kirche – aber in Neuseeland gibt es sie einfach nicht. Zu Mittag und zum Teil bis in die späten Abendstunden hinein stehen diverse Kantinen und Cafeterias offen, in denen es von Pommes über ‚Wraps‘ und gebackenem Fisch bis zu Kuchen alles mögliche an Snacks gibt. Von Zeit zu Zeit wird auch ein einfaches Mittagsgericht oder ein kleiner Salat angeboten. Es ist eben alles ganz britisch, der Einfluß läßt sich nicht verleugnen. Leider bemerkt man Spuren der Maori-Kultur in der bunten asiatisch-britischen Mixtur kaum. Da sie nur noch von relativ kleinen Gemeinden praktiziert wird (die aber in den letzten Jahren wieder stetig wächst), muß man in extra eingerichtete Freilichtmuseen gehen und kann dort z.B. das traditionelle Mal aus im Boden gekochtem Gemüse und Fleisch, das „Hangi“, genießen. Sonst sieht man die typischen dunklen Gesichter, die über die Physiognomie ihrer Verwandtschaft mit den Polynesiern nicht verleugnen könne, meist bei heruntergekommen Gestalten am Straßenrand – ein trauriger Anblick und mittelbare Folge der ‚erfolgreichen‘ Übernahme durch die europäischen, vor allem britischen Siedler. Die ehemalige Kolonialmacht hat ihre übermächtigen Spuren auch im Universitätssystem hinterlassen. Neben dem Bachelor-Master-System merkt man das vor allem an praktischen Aspekten In den ersten drei Jahren bis zum Abschluß des Bachelors bleibt der Unterricht sehr verschult. In den sogenannten ‚Post-Graduate-Studies‘ (also nach dem ersten Abschluß/der Graduierung) sind die Studenten etwas freier in Wahl und Umgang mit den Profs, was manchen merklich schwer fällt. Dabei sind die Lehrkräfte überaus zugänglich und hilfsbereit, wenn auch mit einer gewissen professionellen Distanz. Doch die Unterschiede in der Mentalität bergen auch manche Stolperfallen. So ist es zum Beispiel absolut verpönt, Kritik zu üben, auch keine konstruktive. Ist es bei uns nach einem Seminarvortrag üblich und sogar erwünscht, den Inhalt und den Stil zu bewerten und Verbesserungschancen aufzuzeigen, stößt man in Neuseeland mit diesem Vorgehen auf Unverständnis. Auf meine Frage hin sagten mir meine Mitstudierenden, daß in vielen Fällen nicht einmal der Prof ein Nachgespräch führt, nur wenn der Student darauf drängt. Eine weitere für uns kuriose Sache mag die zumindest außerhalb der kosmopolitischen Zentren verbreitete Berührungsangst zwischen Jungs und Mädels bei Treffen zu zweit zu sein. Mir ist es am Anfang passiert, daß ich nur mit einer Kommilitonin einen Kaffee trinken gehen wollte und daraufhin mit einer für mich unverständlichen Zurückhaltung konfrontiert wurde. Nach einer längeren Unterhaltung hatte ich den Grund herausgefunden: Treffen ohne andere Freunde werden als eindeutiges Zeichen eines ernsthaften Interesse interpretiert, nicht als zwangloses Plaudern ohne Hintergedanken. Daraufhin machte ich bei jedem Treffen ohne ‚Beobachter‘ gleich klar: „This is not a date!“ – es hat funktioniert: die Damen waren beruhigt und locker. Erfahrungen aus der Sicht der Frauen mit Männer kann ich leider nicht besteuern. Man mag nun glauben, diese Mentalität sei hinderlich bei solchen praktischen Dingen wie dem Wohnung in gemischten WGs, ist es aber keinesfalls. Die universitären Wohnheime, von denen es lange nicht so viele gibt, wie die Informationen aus dem Internet suggerieren, sind zwar streng nach Geschlechtern getrennt, aber der freie Wohnungsmarkt ist offener. Überhaupt bietet es sich an, vor Ort nach einer permanenten Unterkunft zu suchen und nicht schon von Deutschland aus, einen Platz in einem Wohnheim zu reservieren. Dies ist zwar unumgänglich, wenn man vorher schon ein Studienvisum bekommen möchte, aber dieses kann man auch im Nachhinein in Neuseeland noch beantragen, wenn man erstmal mit einem Touristenvisum eingereist ist. Dieses Verfahren hat drei Vorteile: man kann sich seine WG und Mitbewohner selbst aussuchen, es kostet weniger und es geht schneller. Wer etwas ruhigere Gefilde und das
ursprüngliche Lebensgefühl der Kiwis sucht, sollte seine Bleibe lieber in
anderen Ort als gerade Auckland oder der Hauptstadt Wellington suchen,
bestenfalls auf der Südinsel. Mein zweiter Aufenthalt führte mich für ein
Praktikum im Bereich Informatik in deren größte Stadt, Christchurch. Hier habe
ich gespürt, warum die Kiwis Auckland nicht als typisch für ihre Heimat
ansehen. Auf dem Land geht alles viel unspektakulärer, einfach gelassener zu –
engl. „laid-back“. Der Charme Neuseelands und seiner Einwohner ist hier
wirklich spürbar: kumpelhaft, manchmal derb, aber immer freundlich, hilfsbereit
und wunderbar unklompliziert. Die Hektik der Großstadt kann man hier getrost
hinter sich lassen, ohne auf deren Komfort, Angebot und einen standesgemäßen
Arbeitsplatz mit High-Tech verzichten zu müssen.
Damit war dieser Ort die richtige
Wahl, um mein Praktikum anzuschließen. Die Universität hat einen guten Ruf und
konnte so verschiedene Forschungszentren an sich gebunden, unter anderem auch
das HITLab. Dort habe ich mich über sechs Monate mit innovativen
Benutzerschnittstellen für die Mensch-Computer-Interaktion beschäftigt,
speziell mit der sog. Erweiterten/Angereicherten Realität (AR). Das
Arbeitsklima war klasse, und es hat unheimlich Spaß gemacht. |
Christchurch hat auch sonst einiges zu
bieten. Neben kulturellen
Veranstaltungen wie Kleinkunst- und Kurzfilmfestival sind die Südalpen nur eine
Stunde entfernt und laden zum Skifahren und Wandern (Kiwi-Englisch: ‘Tramping‘)
ein. Nahe bei kann man Wale und Albatrosse beobachten, weiter im Süden sind die
malerischen ‚Sounds‘ (=Fjorde) – auf überschaubarem Gebiet ist hier die
Schönheit der Natur überwältigend. Um einem weit verbreiteten Vorteil
entgegenzutreten möchte ich betonen, daß die Nordinsel sich gegenüber der Südinsel
nicht zu verstecken braucht. Sie bietet Naturschätze, die auch einmalig und
somit einen Besuch überaus wert sind: der imposante Sandstrand mit haushohen Dünen
des 90-mile-beach, Coromandel mit seinen malerischen Buchten und schneeweißen Diese Haupttouristenziele sind meist
kommerziell vermarktet. Will man das ursprüngliche Neuseeland mit seiner Natur
erleben, begibt man sich am besten entlang einer der unzähligen ‚Tramping‘-Routen
mit Rücksack und Schlafsack auf Tour über die Berge, entlang von klaren
Bergseen und mit tollem Ausblick. Übernachten kann man dabei in unbemannten Hütten,
die mit Pritschen, Ofen und Wasser, jedoch ohne Strom ausgestattet, sonst aber
vor allem funktional und nicht für Gemütlichkeit ausgelegt sind. Diese kommt
trotzdem auf, wenn sich unzählige gut gelaunte Wanderer einfinden und heiter
miteinander die Nacht verbringen. Beim Gemeinschaftserlebnis Wandern lernt man
die Kiwi-Mentalität und das Land am besten kennen, würde ich behaupten. Trotz
seiner Popularität macht dieser inoffizielle Nationalsport für die ganze
Familie von jung bis alt einem anderen keine Konkurrenz: Rugby. Wer einmal die
Hatz um das eiige Leder einmal bestaunt hat, wird die frenetischen Fans und die
aufgegeißte Athmosphäre nicht so schnell vergessen. Von den Regeln habe ich
zwar herzlich wenig verstanden, aber die Stimmung war großartig, vor allem auch
nach dem Spiel friedlich. Besonders wenn es sich um Spitzenspiele Australien
gegen Neuseeland handelt, könnte man denken, die pazifischen Nachbarn seien
Erzfeinde. Geht es jedoch mit irgendeinem der zwei Teams gegen z.B. England oder
Südafrika, sind Fans beider Mannschaften wie schon ewig vereint eins. Es ist
eine lustige Haß-Liebe, die auch im gegenseitigen Witzchen-Reißen Ausdruck
findet. Als ich einmal über den 2000 Kilometer breiten Streifen aus Wasser, der die beiden pazifischen Schwestern trennt, nach Australien schaute, erlebte ich ein anderes Land als Neuseeland. Die Vielfalt ist hier auf einem viel größeren Terrain verteilt, was ganz andere Eindrücke ermöglicht. Ich erinnere mich an eine Fahrt über eineinhalb Tag auf einer schnurgerade Strecke durch karge, aber trotzdem erstaunlicherweise abwechselungsreichen Landschaft. Highlight einer jeden Australienfahrt ist sicher Uluru, bei uns vielleicht besser bekannt unter Ayers Rock. Es ist imposant, wie sich am Morgen der rotglühende Monolith aus der Ebene erhebt und die ihn begaffenden Massen an Touristen (ja, es ist überlaufen!) anstrahlt. Ein paar Unverbesserliche müssen ihn immer noch besteigen und damit diese Ahnenstätte der Aborigines unbedingt im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen treten, obwohl man von oben keinen besseren Blick hat – es ist völlig eben rundherum. Als etwas besonderes empfunden habe ich es, als das erste Mal Kängurus und Koalas in freier Wildbahn meinen Weg kreuzten. Es ist schon aufregend, auf einmal das greifbar (nein, lieber nicht versuchen!) vor Augen zu haben, was du sonst nur aus dem Fernsehen kennst und immer mit einer ganz anderen Welt verbunden hast - schon sehr spannend und aufregend! OZ ist groß, sehr groß und die Fortbewegung muß man den Entfernungen und der Zeitvorgabe entsprechend flexibel gestallten: vom gekauften Auto über Leihwagen, öffentliche Überlandbusse, Züge und nicht zuletzt Flugzeug für lange Strecken. Ich hatte auch die individuellste ausprobiert: per Anhalter. Dies ist, wie ich später erfahren, offiziell verboten – ganz im Gegensatz zu Neuseeland – aber mitgenommen wird man fast immer sehr schnell. Auf diese Art lernte ich sehr interessant Menschen kennen und erfuhr etwas über Land, Geschichte und die aktuelle Lage. Man sollte aber schon aufpassen, wo mit trampt und mit wem. Einheimische rieten mir zum Beispiel einmündig, daß man sich nicht um die großen Touristenzentren herum mit dem ausgestreckten Daumen an die Straße stellen soll, speziell nicht um die sehr beliebte Cold-Coast südlich von Brisbane. Sonst braucht man aber weder in Neuseeland noch in Australien Scheu vor Menschen zu haben, sie sind zumeist sehr offen und hilfsbereit. Mir ist einmal passiert, daß mich am Abend ein junge Rekrutin 130km bis in die nächste Stadt fuhr, obwohl sie eigentlich nur 15km weiter die Straße runter wohnte und am nächsten Tag ganz früh einen Flug bekommen mußte. Ein anderen Mal wurde ich nach Canberra mitgenommen und bekam anschließend noch die Stadt gezeigt und den Eintritt in einen Aussichtsturm bezahlt. J Um einmal bei den ‚Zahlen‘ zu bleiben, noch ein abschließender Blick auf die Finanzierung: Ein Jahr in Übersee kostet meiner Schätzung nach von der Lebenshaltung her etwa so viel wie in Deutschland, hinzu kommen die Flüge, aber vom DAAD gibt es Fahrkostenzuschüsse. Um Studiengebühren zu sparen, sollte man seine Zeit im Ausland erst im Hauptstudium einlegen, dann sinken die Studiengebühren dramatisch, wenn man nicht sowieso schon durch Uni-Partnerschaften davon befreit ist. Sonst greift ein bilaterales Abkommen, daß Deutsche, die als ‚Postgraduated‘ eingestuft werden, den Einheimischen gleichstellt, und sie so nicht mehr die exorbitanten Studiengebühren für Internationale zahlen müssen. Um deren Last zu lindern, kann man sich beim DAAD um Stipendien bewerben, diese sind aber rar gesät. Andere Möglichkeiten wären noch die im Bildungssektor aktiven Stiftungen, die aber eine Bewerbung nur zur Finanzierung des Auslandsaufenthaltes nicht unterstützen werden. Auch hier zeigt sich wieder: schon früh kümmern! Der Umstand, daß das akademische ‚Jahr‘ in Neuseeland im März beginnt und schon im November endet, macht den Einstieg entweder nur zu Beginn oder zur Halbzeit im Juli möglich. Diese Verschiebung hat auch Auswirkungen auf das Kindergeld: Falls ihr euch für die Zeit an eurer Heimathochschule beurlauben laßt aber auf eurer Bescheinigung aus NZ nur das Studium bis Mitte November bestätigt ist, könnte es sein, daß ihr für den Rest des deutschen Semesters, also von Dezember bis einschließlich März kein Kindergeld bekommt. Trotz der administrativen Arbeit im Vorfeld und danach bei der Anerkennung der Leistungen an meiner Hochschule (am besten vorher schon abklären!) hat sich die Mühe absolut gelohnt. Meine Zeit in OZ und NZ war fantastisch und mit vielen neuen Eindrücken gespickt. Die Freundlichkeit der Menschen ist liebenswert, die Lebensweise unkompliziert und beide Länder einfach bezaubernd. „Cheers & Goodbye“ – man sieht sich Down-Under! |
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Letzte Aktualisierung: 16.09.2004