Freiwilligenbericht 2

März 1998 & Update April 1999

 

Liebe Unterstützer,

seit meinem ersten Rundbrief sind mittlerweile gut sechs Monate ins Land gezogen. Einige mögen sich somit fragen, wie es mir ging, was ich erlebte und welche Erfahrungen ich dabei gewonnen hatte. Mit diesem zweiten Bericht aus Bosnien möchte ich einige Fragen klären und Euch eine Auffrischung über meine Arbeit und mein Leben geben. Trotzdem möchte ich nicht so ausführlich schreiben wie das letzte Mal, sondern Lesbarkeit und Verständlichkeit Rechnung tragen. Anknüpfen möchte ich chronologisch dort, wo ich beim letzten Rundbrief aufgehört habe - also im Dezember 97.

Update: Schaut man sich den oben aufgeschriebenen Text an, wird man feststellen, daß dieser nicht mehr so aktuell ist. Mit dem inhaltlichen und stylistischen Aufbau dieses Rundbriefes möchte ich der Tatsache Zoll gebühren, daß in diesem zwei Sichtweise aufeinandertreffen. Erstens die aus dem Juni 1998, zweitens die von jetzt, sozusagen aus einiger Entfernung betrachtet. Im Juni 98 war ich gerade dabei, die hier mit "ursprünglich" gekennzeichneten Texte zu schreiben, der Bericht wurde fast fertig. Dann kam der Unfall dazwischen, ich war bis Februar 1999 ausgeschaltet und brauchte dann auch noch einige Zeit (in die mein letzter Bosnien-Besuch im März fiel), um mir selber ein Bild der jetzigen politischen und Projektsituation zu machen. Ich bitte um Verständis und möchte diesen Brief nicht nur als Abschlußreport für meine Unterstützer sehen, sondern auch als guten Abschluß eines eindrucksvollen, reichen und prägenden Teil meines Lebens.

Farbenverteilung

Schon Anfang November waren die Kunstmalfarben, eine Spende von "SCHMINKE" aus Deutschland, mit dem THW in Mostar eingetroffen. Dort lagerten sie bis Anfang Dezember, bis ich sie abholen wollte. Mein erster Versuch schlug sofort fehl, denn unser nunmehr zwanzig Jahre alte Mercedes-Pritschenwagen ging in den Bergen kaputt - Kupplung! Zwei Tage spaeter habe ich mich abermals auf den Weg gemacht. Mit vier Paletten Farben kehrte ich nach Sarajevo zurueck, wo ich sie in der Garage eines Freundes unterstellen konnte. Vor der Verteilung hätte ich noch Pakete mit einer Mischung verschiedener Farben zusammenstellen müssen, was mir als Einzelkraft Tage geraubt hätte. Mit dem Gedanken an eine mehrtaetig dauernde Umpackaktion im Kopf kehrte ich nach meinem Kurzaufenthalt über Weihnachten nach Sarajevo zurueck, wo mich mein Kollege Alex mit der freudigen Nachricht empfing, dass die in der Zwischenzeit hier gewesen SHLer aus Deutschland diese Aufgabe erledigt haetten. Sie brauchten dazu mit vier Mann acht Stunden, man kann sich ausmalen, wie lange ich alleine daran gesessen haette!

Waehrend der Personenfahrten zum "nepitani" Treffen in Mostar konnte wir schon einige der Empfaengerstaedte beliefern. So erhielten Vi{egrad, Gora`de, Fo~a und Mostar insgesamt etwa 160kg Farben. Diese sind in den jeweiligen Staedten fuer Schulen und Jugendtreffs, aber auch fuer Kunstworkshops und Einzelkuenstler bestimmt. Eine zweite Tour fuehrte mich, nachdem ich einige Leute von Mostar nach Banja Luka gefahren hatte, in die westliche Republik Srpska. Etwa ebenfalls 160kg Farben gingen nach Banja Luka, Prijedor, Sanski Most und Mrkonjic Grad. Auf dieser Reise musste ich mehrmals mit der Polizei verhandeln, die in den grossen Kartons auf der Rueckbank Schmuggelware vermuteten. Dummerweise hatte ich auch kein offizielles Schreiben oder eine sonstige Akkreditierung dabei. Im Grunde war die Fahrt aber kein Problem, ich hatte so die Moeglichkeit, mich etwas mit den Demokratisierungsbeauftragten der OSCE zu unterhalten, denn diese waren meine lokalen Ansprechpartner. In Prijedor hatte ich am meisten aufschlussreiche Informationen erwartet (dort sind noch die meisten angeklagten Kriegsverbrecher auf freiem Fuss).

Kurz zuvor war mir erstmals bewusst geworden, in welchem Ausmasse um Prijedor herum gewuetet wurde. Man faehrt naemlich durch ein langes und weites Tal, an dessen Haengen man kilometerweit nichts anderes sieht als zerstoerte Haeuser. Nachdem mich dies schon arg mitgenommen hatte, fuhr ich ploetzlich an einem Strassenschild vorbei, auf dem ganz unschuldig "Omarksa" stand. Beim Lesen des Namens, der wohl fuer einige der schlimmsten Grausamkeiten waehrend des Krieges steht (dort war eins der beruechtigtsten Konzentrationslager), wurde mir fast schlecht. Und dann konnte ich nur den abgedroschenen Satz "Alle ist gespannt, aber ruhig" von der Verantwortlichen Person vernehmen. Wie kann man da von "ruhig" reden?

Die dritte Tour zur Verteilung der Farben fuehrte mich in die oestliche und mittlere RS. Zvornik, Bjeljina, Br~ko und Doboj hiessen mein Ziel. Leider hatte ich nicht viel Zeit, mir die Staedte laenger zu Gemuete zu fuehren. Es fiel mir nur auf, das die Grenze zwischen der RS und Serbien praktisch nicht zu bestehen scheint. Ein Wechsel auf die andere Seite ist ohne Probleme moeglich, zumindest fuer die RS Bewohner. Beinahe schon sarkastisch wirkte auf mich die Tatsache, dass man auf der anderen Seite der Drina (in Serbien) einige Moscheen erblicken kann, waehrend in der RS alle zerstoert sind. Der Nationalsozialismus, der letzteres fertig brachte, kam aber urspruenglich aus Serbien!

Auf der Fahrt nach Tuzla konnte ich dort gleich Farben abliefern. Noch ausstehend ist ein groessere Tour in das westliche und mittlere Foederationsgebiet, etwa Travnik, Jaice, Biha}, Velika Kladu{a und Livno. Angedacht hatte ich einen bosnienweiten Malwettbewerb, der moeglichst viele Staedte einschliessen sollte und die jetzt verteilten Farben als Grundlage haben sollte. Dabei sollte sehr hilfreich sein, dass verschieden OSCE Verantwortliche bereits eigenstaendige Malwettbewerbe planten, so in Vi{egrad, Vare{ und Prijedor.

Nachdem ich einige Gespraeche gefuehrt und die Kapazitaeten meinerselbst ausgelotet hatte, sah alles auch recht positiv aus. Mittlerweile habe ich die Idee aber aufgegeben, da meine Arbeitskraft durch "nepitani", die Vorbereitung des EU-Phare Vertrages und die immer noch nicht abgeschlossene Haussuche (zu den beiden letzten Punkten später mehr) gebunden ist.

"nepitani"

Die Ausgaben fünf, sechs und sieben der nepitani wurden mittlerweile fertig gestellt. Der Weihnachtsausgabe lag ein Jahreskalender für 1998 bei, der von der OSZE finanziert wurde. Seit Ausgabe 6 konnten wir die Seitenzahl deutlich erhöhen (40 anstatt 28). Dies liegt nicht zuletzt am verstärkten Interesse an "nepitani". Einige unserer lokalen Redaktionsgruppen sind stark gewachsen, neue Gruppen und Einzelautoren sind hinzugekommen.

Erfreulich ist die zunehmende Eigenständigkeit der Redakteure. Es begang mit der Übernahme der Sitzungsleitung auf den Redaktionstreffen, ging weiter mit der Wahl eines fünfköpfigen Endkorrekturteams und gipfelt zur Zeit in der selbstständigen Vorbereitung der Seminare. Dies ist alles sehr hilfreich, denn erstens kann ich mich so auf andere Dinge konzentrieren und zweitens erhalten die Redakteure so mehr Verantwortung und mehr Verbundenenheit mit ihrer "nepitani". Ich sehe diese Entwicklungen klar als Schritte in die auf lange Sicht angestrebte Selbstständigkeit der "nepitani".

So wundert es auch nicht, daß es innerhalb der Redaktion vermehrt Diskussionen um die Zukunft der "nepitani" Projektes gab. Hierbei ging es vorallem um so grundlegende Fragen wie Kommerzialisierung und thematisch/strukturell weiterführende Ideen. Als Ergebnis läßt sich zusammenfassen, daß zwar ein Teilverkauf von "nepitani" angestrebt ist, dies aber nur um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu fördern, nicht um Redakteure zu bezahlen. Somit wird der Grundgedanke der Freiwilligkeit auch weiter unterstützt. Gewonnenes Geld soll ausschließlich zur Deckung eigener Kosten (Treffen, Druck etc.) verwendet werde. Dies kann als erster Schritt in eine finanziell selbstragende Struktur von "nepitani" gesehen werden, denn die Redakteure wünschen, daß ihre Zeitschrift weitergeht, unabhängig vom weiteren Engagement SHLs in Bosnien.

Um diesen Prozeß eine legale Basis zu schaffen, wurde seit längerem über die Registrierung von "nepitani" gesprochen. Ich fand heraus, daß wir unsere Zeitschrift nicht unter dem Hut von SHL unterbringen können, denn es ist keiner ausländischen Person erlaubt, hier in Bosnien Herausgeber einer Publikation zu sein. Somit habe ich mich daran gemacht, eine andere Struktur aufzubauen. Da wir möglichst unabhängig von anderen Organisationen sein möchten, ist es nun von Nöten, unsere eigene lokale Struktur zu schaffen. Dafür habe ich in Absprache mit der Gruppe ein Statut entworfen, mit dem wir einen Verein namens MEMLA gründen können. Ziel des Vereins ist aber nicht nur die Registrierung der "nepitani" sondern vielmehr die Verbindung journalistisch interessierter Jugendlicher über lokale, regionale und nationale Grenzen hinweg. Somit handelt es um etwas wie ein Jugendmedienverband. In diesem Monat werden wir die Registrierung in der Föderation vornehmen, im nächsten dann in der Republik Srpska. Danach kann MEMLA wir als Herausgeber der "nepitani" auftreten und weiteren Schritten in Richtung Selbstständigkeit sollte nichts mehr im Wege stehen.

Die Idee von "nepitani" findet nicht nur in den Städten mit bereits bestehenden Redaktionsgruppen vermehrten Anklang, sondern auch in solchen, die noch keine direkte Verbindung mit uns haben. Immer wieder bekommen wir Texte aus Orten, bei denen es mich wundert, wie sie dort "nepitani" bekommen haben. Ein solches Gefühl ist aber sehr schön, bestätigt es doch unsere Arbeit und die dahintersteckende Idee. Aus mancher Einmalaktion entwickelt sich dann mehr und die Leute wollen kontinuierlich mitmachen, ihre eigene lokale Redaktionsgruppe aufbauen. Dies begrüßen wir und unterstützen so gut es irgend geht. Leider stoßen wir bei der Organisation unserer großen, landesweiten Treffen an Grenzen. So können wir mit dem jetzigen System einfach keine neuen Redaktionsgruppen einbeziehen, weil unsere Kapazitäten (Transport & Unterbringung) erschöpft sind und Treffen mit mehr als 25 Teilnehmern uneffektiv werden. Somit gehe ich nun daran, die Struktur der Redaktionsorgansisation etwas zu verändern. Wo es bisher nur die lokalen und die nationale Treffen gab, wird eine Zwischenstufe auf regionaler Ebene eingeführt. Die Idee ist, das sich mindestens zwei Lokalredaktionen zusammenschließen und möglichst selbstständig in der Zeit zwischen den landesweiten Seminaren arbeiten. Ich werde sie nur noch leitend unterstützen (so jedenfalls meine Idee, am Anfang wird die Betreuung natürlich viel intensiver sein). Durch das von der EU zu Verfügung gestellte Geld haben wir die Möglichkeit, den regionalen Gruppen Geld als Stütze anzubieten. Wichtiger ist hierbei aber die Option, daß wir nunmehr in der Lage sind, neben der "nepitani" noch vier weitere, kleinen Magazine herauszugeben. Diese sollen von den Regionalredaktionen möglichst selbstständig erstellt werden. Hierzu können wir auf in den Regionen ansässige befreundetet Jugendarbeiter und erfahrene Journalisten zurückgreifen. Bisher gab es konkrete Gespräche über die Bildung einer Regionalredaktion mit den Gruppen in Foca, Visegrad, Rudo und Gorazde. In letzterer Stadt gibt es eine Gruppe namens ASSI, die auch eine Zeitschrift herausgeben wollen. Dazu haben sie etwas Geld von USAID bekommen. Bei Gesprächen stellte sich heraus, daß ihre Idee einer Zeitschrift mit unserer Konform läuft und sie gerne bereit sind, mit Leuten aus den anderen oben genannten Städten etwas zu machen. Über eine Ergänzungsfinazierung zu ihrem Budget kann man der Idee zusätzlichen finanziellen und über unserer Erfahrung auch idellen Vorschub leisten. Gleiche Ansätze gibt es auch in der Region Tuzla-Brcko und Bihac-Sanski Mosk-Banja Luka. Mein Hauptaugenmerk der nächsten Monate wird demnach auf dem Aufbau dieser Regionalgruppen liegen. Bis Ende Oktober hoffe ich sie so weit stabilisiert zu haben, daß sie weitgehend selbstständig arbeiten und ihre regionalen kleinen "nepitanis" herausbringen. Wir haben neuerdings Interesse von jungen Redakteuren aus Gorazde und Belgrad!

Erfreulich ist, dass die Leute aus Belgrad und Gora`de weiter aktiv sind. In Belgrad versucht Sr|an zur Zeit eine Gruppe aufzubauen. Zulauf wird er sicher von jenen Redakteuren aus der RS erhalten, die in Belgrad studieren werden. Die Frage, inwieweit wir neue Leute beteiligen koennen, ist immer noch offen. Ich tendiere zu einem Schlusspunkt, der es Interessierten trotzdem ermoeglichen wird, Artikel in der "nepitani" zu veroeffentlichen, aber ohne dauernden Anspruch auf Beteiligung an allen Meetings. Bei groesseren lokalen oder regionalen Gruppen kann man versuchen, einen lokale Zeitung auf die Beine zu stellen. Besonders interessant wird dies bei gemischten Gebieten wie um Br~ko. Im Grunde haben wir nur alle Gegebenheiten drumherum organisiert, das Meeting selbst wurde von den Redakteuren durchgefuehrt. Ich habe mich sehr zurueckgehalten und mein Eingreifen auf einige organisatorische und technische Hinweise beschraenkt. Es war wirklich erstaunlich wie selbstaendig alles lief. Als Resultate der Treffen kann man extrahieren, dass die Redakteure nicht nur Kritik an uns und der Layoutgruppe geuebt haben, sondern endlich erkannten, wo ihre eigenen Fehler und Potentiale liegen. Dies war sehr erfreulich, denn es ist viel schwerwiegender, wenn die Kritik aus den eigenen Reihen kommt, als wenn ich sie als relativ Aussenstehender aeussere.

Jeder ist fortan staerker persoenlich fuer seinen Text verantwortlich. Er hat die Aufgabe, geeignete Photos oder Zeichnungen bereitzustellen, aber er hat auch das Recht, die Anordnung selbiger auf der Seite zu bestimmen. Erfreulich war auch, dass viele Redakteure die Ideen vom letzten Meeting aufgenommen und ihre eigenen Photos, Collagen und Layoutideen mitgebracht hatten. Dadurch wird es diesmal eine authentischere "nepitani" geben, denn die Leute koennen ihre Ideen direkt einbringen. Ausserdem gibt es ab sofort eine komplette Nachkorrektur der druckfertigen Vorlagen. Dazu wurde ein Komitee von fuenf erfahrenen Leuten ausgesucht, und dies durch Wahl! Es war sehr spannend, die Leute bei ihrer ersten Wahl des Lebens zu beobachten. Nach ein wenig Chaos und Verwirrung um die Wahlpraktik ging aber alles wie gewuenscht von statten.

März-Treffen: Leider war weder Michael noch Alex anwesend, so dass ich alles gleichzeitig sein musste: Fahrer, Verpflegungseinkaeufer, Organisator etc. Im Endeffekt konnte sich dies auch nur negativ bemerkbar machen, so dass einige Dinge nicht gerade hervorragend liefen. Dies begann mit der Abholung der Leute vom Bahnhof, die zum Teil zwei Stunden gewartet haben, weil einfach zu viel anderes zu tun war oder man mir vergessen hatte, ihre Ankunft mitzuteilen.

Als Neuerung plane ich den Start einer sechsteiligen Workshopkette zum Thema Journalismus. Diese sollen jeweils auf den normalen "nepitani" Meetings stattfinden. Erstes Unterthema ist, dem Wunsch der Redakteure folgend, die Grundlagenvermittlung ("Wie schreibe ich einen guten Artikel"). Beendet wird die Reihe mit dem Workshop "Journalismus und Gesellschaft - die Verantwortung der Medien", so dass wir ein sehr breites Band von Themen haben. Als Hoehepunkt wird am Ende eine zehntaegige Konferenz stattfinden, auf der eine eigene Zeitung, TV oder Radio-Show erarbeitet werden soll. Interesse wecken und Verantwortung staerken heisst hierbei unser Ziel.

Selbstständigkeit/Professionalität

In diesem Sinne gibt es auch noch eine andere Idee, die ich in naechster Zeit verstaerkt verfolgen moechte. In letzter Zeit sind wiederholt Redakteure an mich herangetreten, mit dem Wunsch und dem festen Willen, "nepitani" auf eigene Beine zu stellen. Dies waere nur vorteilhaft, denn dann waeren wir endlich eine registrierte Zeitung und legal. Auch muessten die Redakteure dann selbst noch mehr Verantwortung uebernehmen. Dazu gehoert nicht nur die Organisation der Treffen etc., sondern auch die Geldbeschaffung und das Verhandeln mit Partnern. SHL wuerde auf jeden Fall das Zentrum von "nepitani" bleiben und vorerst auch noch alle Finanzen und sonstige Hilfe zur Verfuegung stellen. Spaeter koennte dann aber der weiche Uebergang in eigene Haende erfolgen. Dazu ist die Registrierung der erste Schritt.

Aber ich habe auch Befuerchtungen. So weiss ich mittlerweile aus meiner bisherigen Erfahrung, dass vielen Leuten einfach die Kontinuitaet bei einer solchen Arbeit fehlt. Am einen Tag sind sie voellig begeistert und sagen ihre komplette Unterstuetzung zu, am naechsten Tag sieht das schon wieder ganz anders aus. Ich moechte nicht riskieren, dass "nepitani" den Sprung ins kalte Wasser wagt, sich noch ueber Wasser haelt solange SHL eine tragende Rolle spielt, und dann untergeht. Dazu ist sie einfach zu bedeutsam! Vielleicht sehe ich es auch zu pessimistisch. Ich werde jetzt behutsam mit der Registrierung anfangen, dann koennen wir weiter sehen.

Update: Durch den totalen Bruch in der Kontinuität der Arbeit mit "nepitani" hat es dem Projekt im Nachhinein gesehen mehr geschadet als ich angenommen hatte. Ich habe darauf gehofft und mich darauf verlassen, daß die fähigen Leute (oder anders ausgedrückt, die Leute, die in meiner Zeit das meiste getan haben) die Arbeit so weitertragen, wie sie es bei mir getan haben und ihre guten Ansätze zur Selbstbestimmung und Selbstständigkeit weiter verfolgen. Dem ist dann aber leider nicht so gewesen. Wenn ich mir heute die "nepitani"-Gruppe anschaue, ist sie nicht mal mehr auf dem Entwicklungsstand, den sie bei meinem "Ausfall" hatte. Für mich ist diese Erfahrung sehr bitter und traurig, denn ich habe geglaubt, sie bräuchten bloß einen Anstoß und fänden ihren Weg dann alleine. Dieser Glaube wurde durch meine Erfahrung beim letzten Besuch (Mitte März 99) negiert: wieder ein Internationaler als führende Person, keine Gründung einer eigenen Organisation als rechtliches Standbein in Bosnien, ein halbes Jahr lang keine Nachkorrekturteams und viele andere Sachen, die in meiner Zeit etabliert und für gut befunden wurden. Aber es gibt auch positive Entwicklungen: so sind mehr Städtegruppen beteiligt (obwohl man zu diesen "neuen" auch sagen muß, daß sie schon an Ende meiner Zeit "neu" waren), mehr Seiten werden publiziert, eine zweite deutsche Ausgabe soll entstehen.

Speziell aus der "nepitani" habe ich erstens gelernt, daß jeder jederzeit ersetzbar ist (wenn auch mit negativen Folgen) und daß alles weitergeht (vielleicht nicht ganz so, wie man gedacht hat). Damit ist für mich nicht unbedingt etwas negatives verbunden, sondern es gibt auch die Gewissheit, daß es weitergeht. Dies ist aber eindeutig keine Rechtfertigung für mich, irgendein Projekt, das man angefangen hat, einfach so fallen zu lassen, "denn irgendeiner wird es schon weitermachen". Aber es gibt die Begründung dafür, daß man nicht in Panik verfallen muß, nur weil man dieses Projekt nicht persönlich weiterbetreuen kann. Ich habe dieses Zustand erlebt, sehr intensiv sogar. Kaum war ich wieder einigermaßen bei Sinnen, wollte ich auch schon wieder nach Bosnien, um "meine nepitani" weiterzuführen. Ich mußte dann, so schmerzlich es auch war, einsehen, daß es nicht ging und ich nichts machen konnte. Später habe ich auf indirekte Weise wieder eingebracht, indem ich der neuen Koordinatorin bei manchen Sachen geholfen habe, die sie einfach nicht wissen konnte. Diese Anfrage nach Unterstützung hat mich unheimlich wieder aufgebaut und gestärkt. Ich wünsche mir für mein "altes" Projekt einfach noch viel Glück, Zukunft und daß es weiter so jung bleibt!

IJBH

Wie eben bereits erwaehnt, hatte ich viel mit dem von SHL angestrebten Kaufobjekt, unserem sogenannten "Weissen Haus", zu tun. Die Kaufverhandlungen in den vorigen Monaten waren immer wieder ins Stocken geraten, weil die mit der Bereitstellung der adaequaten Dokumente beschaefftigten Makler offensichtlich keine Ahnung haben. Mit einem Zweifel, ob wir jemals das von uns bereits ausgesuchte Haus bekommen wuerden, haben wir uns daran gemacht, nochmals die Immobiliensituation in Sarajevo zu pruefen und auch andere Haeuser zu suchen. Namentlich Claus, ein zur Zeit bei uns arbeitender "Freiwilliger", hat alle Makler angeschrieben und nach passenden Objekten gefragt.

Bis hierauf Antworten kamen, hatten sich ein Dokumentenproblem beim "Weissen Haus" nahezu geloest. Die Vollmachten der Mitbesitzer in Deutschland und den USA waren angekommen. Leider waren diese nicht richtig beglaubigt, denn ihnen fehlte der Stempel der dortigen Bosnischen Botschaft, wozu er viertausend Kilometer nach Washington D.C. gereiste. Dann war aber alles geklaert, beide Vollmachten waren gestempelt, beide werden nunmehr von den hiesigen Gerichten und Grundbuchaemtern anerkannt. Darueber vergingen auch wieder vier Wochen, so dass ich in der Zwischenzeit genug Freiraum hatte, mir andere Haeuser anzuschauen. Dabei fiel mir auf, wie voellig unbegruendet hoch die Preise hier sind. So sah ich gleich am Anfang vier verschiedene Haeuser. Das erste war wirklich toll, mit guter Lage, voellig renoviert, komplett ausgestattet, mit Heizungssystem etc. Das zweite war noch sehr gut in Schuss und gross, aber voellig abgelegen. Das dritte war wieder weiter in der Stadt, leider etwas angekratzt und auch nicht besonders gepflegt, einiges haette gemacht werden muessen. Das letzte war schliesslich nur noch ein Rohbau im gleichen Stadtteil. Und das Erstaunliche: alle sollten 400.000DM kosten! Da frage ich mich doch, wo hier der Fehler liegt. Entweder die Besitzer haben einfach keine Bezugspreise, denken sich also etwas aus, oder sie spekulieren auf den Auslaenderbonus ("die haben ja viel Geld"). Eine andere Moeglichkeit ist noch, dass die Makler selbst die Preise so hoch setzen, entweder um eine hohe Provision abzuzocken oder weil auch sie keine Ahnung haben, denn die meisten von ihnen sind gerade ins Geschaeft eingestiegen, kommen urspruenglich aus ganz anderen Branchen. Ich habe mittlerweile ueber zwanzig Haeuser gesehen, von denen aber nur etwa vier ueberhaupt in Frage kommen.

Bei jedem dieser Haeuser war irgendein Umstand zugegen, der den Erwerb schwer machen koennte: viele haben keine Baugenehmigung (60% sind illegal gebaut), manche waren im Grundbuch noch mit dem Namen des Vorvorbesitzers eingetragen. In dieser Hinsicht wuerden wir bei jedem Haus auf irgendein Problem stossen. Wir konnten jedenfalls vor Weihnachten nichts weiter machen, weil beim "Weissen Haus" noch die Frage der zur Zeit bestehenden Hypothek zu klaeren, weil keine Entscheidung fuer ein anderes Haus gefaellt worden und weil darueber hinaus unsere Anwaeltin in Urlaub gefahren war. Im neuen Jahr zeigte sich, dass eins der zuvor gefundenen Objekte nicht mehr zur Verfuegung stand: unser bisheriger alternativer Favorit ("Gelbes Haus") war verkauft worden. Ich schaute mir noch ein paar Objekte an, alle nicht geeignet oder zu teuer.

Beim "Weißen Haus" meldete sich die Bank jedoch mit einen positiven Suchbescheid bezüglich der Hypothek und eine schnelle Bearbeitung wurde zugesagt. Leider fuhr die zustaendige Sachbearbeiterin in die Flitterwochen - wieder kein Vorankommen. Aber ich hoffte immer noch auf einen baldigen Hauskauf und den Bezug bis Maerz. Nachdem die "Privedna Bank" endlich hat verlautbaren lassen, dass sie uns mit der Hypothek wird weiter helfen koennen, sind wir auch gleich dorthin. Man sagte uns aber nur, dass die jetzige "Privedna Bank" nicht jene sei, die nach dem Grundbucheintrag die Hypothek besitzt. 1981 gab es eine Zweigbank mit selbem Namen, die sich mittlerweile aber zweimal umbenannt habe. Gluecklicherweise haben wir den neuen Namen gleich erfahren: es sei unsere Hausbank. Mit dem Glauben, dass nun alles schneller gehe, weil wir ein guter Kunde sind, haben wir dort nachgefragt. Natuerlich wusste man von nichts! Ziemlich genervt von diesem buerokratischen Hin und Her habe ich dann versucht, der Sache auf den Grund zu gehen. Alex nahm mir dies nach Beendigung seines Rekonstruktionsprojektes ab (Kindergarten in Lupac) und erfuhr schliesslich, dass doch die jetzige "Privedna Bank" fuer alles zustaendig sei. Also wieder dorthin, diesmal gleich mit offizieller Hilfe, die in Form eines hohen EU-Beamten (ein Freund von uns) bereit stand. Schließlich und letztendlich hatten wir dann doch alles geklärt (mittlerweilen war es schon März), doch dann, oh Wunder wurde das "Weiße Haus" plötzlich um 30.000DM teurer! Dies war eindeutig gegen die Abmachungen und hat uns den Kauf unmöglich gemacht. Also: "Weißes Haus" auch ade!

Dann haben wir zusammen wieder mal alle Makler angesprochen und so versucht, noch neue Möglichkeiten aufzutun. Dabei war es aber so, daß uns zum Teil alte oder ungeeignete Objekte präsentiert wurden. Also gleiches Spiel wie immer. Eine Möglichkeit blieb uns noch: der Schwiegervater in spe von Conny, einem ehemaligen SHL-Freiwilligen in Sarajevo, hatte uns schon viele Male geholfen und stand uns auch in dieser Situation wieder zur Seite. Doch auch er konnte innerhalb von einem Monat keine Option auftun. Doch er hatte vielerlei Häuser an der Hand, die aber eines Wiederaufbaus bedürftigt waren. In der Not ist man nicht wählerisch, so haben wir uns einige angeschaut. Die Palette reichte von Totalzerstörung bis einigermaßen brauchbar. Doch nichts überzeugte uns, vor allem wegen der auch wieder ungeklärten Dokumentenlage. Bis Juni hatten wir noch kein Haus aufgetan, daß in unserem Anforderungskatalog lag (Preis, Lage, Erreichbarkeit, Ausbau- und Nutzungsmöglichkeiten).

Parallel dazu lief noch die Untersuchung unserer Papiere und unserer Moeglichkeit, hier legal ein Haus zu erwerben. Als Ergebnis laesst sich zusammenfassen, dass wir in einer Zwickmuehle stecken. Als humanitaere Organisation sind wir keine "Legale Person" wenn es um Fragen des Grunderwerbs geht. Damit koennen wir bei der jetzigen Gesetzeslage kein Haus kaufen. Es soll ein neues Gesetzt erlassen werden, das diese Krux ausbessert. Doch es ist nicht klar, wann. Somit bleibt und nur die Moeglichkeit, das Haus auf den Namen eines Mitarbeiters einzutragen oder auf das neue Gesetzt zu warten. Wir werden wohl letzteres forcieren, eine Umtragung auf den Namen von SHL ist spaeter immer noch moeglich. Aergerlich bei der Sache ist nur, dass alles so verdammt lange dauert. Dies auch wegen der Unklarheiten, die im Rechtssystem hier bestehen. So bestaetigt uns der eine Anwalt mit Quellenangabe, dass alles kein Problem sei, der andere insistiert auf dem Gegenteil, ebenfalls mit guten Quellen. Es ist unheimlich schwer, hier nicht die Geduld und den Mut zu verlieren!

Update: Vieles hat sich getan! Gleich zu Anfang: wir haben im Dezember 1998 ein Haus gekauft, dieses rekonstruiert und renoviert, Anfang März 1999 eingeweiht und den Seminarbetrieb aufgenommen! Am Ende ging alles sehr schnell, obwohl es eigentlich nur halb so fix ablief wie geplant. Vorraussetzung dafür war die von uns schon lange erwartete Novellierung des Eigentumrechts in Bosnien. Jetzt dürfen auch ausländische Organisationen, wie SHL es ist, Grundbesitz und Immobilien erwerben. Hinzu kam, daß von vielen unserer anfänglichen Wünsche abgesehen haben (z.B. leichter Wiederaufbau - möglichst nur Renovierung, Nähe zur Stadt, gute Erreichbarkeit mit Bus/Straßenbahn) und daß wir ab der zweiten Hälfte 1998 genug Geld hatten (durch den Sozialen Tag, der uns ungefähr 1,5Mio DM eingebracht hatte), um unsere Wünsche zu realisieren. Unser IJBH (Internationales Jugendbegnungshaus) steht jetzt in Stup etwas außerhalb (20min Autofahrt in die Innenstadt). Wir haben eine Ruine von Grund auf wiederhergerichtet (von Grundmauern bis zum ausgebauten Dachgeschoß), die jetzt mit ungefähr 350m^2 nutzbarer Fläche genügend Platz für unsere Seminare bietet. Öffentliche Räume sind streng von privaten getrennt, so soll eine wirkliche Privatsphere und ein Rückzugsort für jeden entstehen. Im Erdgeschoss sind die Schlafräume der Teilnehmer, im ersten Stock sind die Räume der SHL-Freiwilligen, dazu ihr Bad und das Büro, im zweiten Stock der große Seminarraum (man kann ihn zweiteilen) und die Küche und ganz unter dem Dach noch einmal ein kleiner Boden, der als zusätzliche Schlafmöglichkeit genutzt werden kann. Diese Zustände sind geradezu paradiesisch, wenn man sich mal überlegt, wie wir gelebt haben: auf 40m^2 mit drei Leuten, einem Büro und auch noch Schlafplätzen für Gäste! Ich möchte jetzt nicht melancholisch oder neidisch klingen, wir haben damals auch gut gelebt, vielleicht sogar besser, was dem Zusammenhalt und die Unterstützung gegenseitig betrifft, denn man mußte mit den anderen auskommen und sich arrangieren. Abschließend möchte ich zum IJBH sagen, daß ich auch sehr glücklich bin, daß es jetzt endlich so fertig steht. Ich habe zwar nicht aktiv an diesem Haus mitgearbeitet, aber ich denke, es ist unser aller Verdienst und somit auch der meinige.

Besuche / Treffen

An den ersten Tagen des Dezembers 1997 war Eric, ein Kanadier aus Quebec, bei uns eingetroffen. Er ist fuer die Organisation "Alternatives" aktiv, die in Kanada und den USA Jugendkonferenzen und Workshops anbietet. "Alternatives" moechte auch in Bosnien Fuss fassen und hier Jugendfortbildung anbieten. Eric war nun als "Forschungsreisender" unterwegs, immer auf der Suche nach vergleichbaren Projekten und spaeteren Partnern. Da Erics Organisation nicht sehr viel Geld hat, moechte sie auch nicht gleich ein Buero hier eroeffnen, sondern erst einmal ueber den Brueckenkopf Partnerorganisationen agieren. Daher habe ich ihn an "Nesto Vise" (Dachverband fuer Jugendorganisationen) verwiesen, denn dort sollte man am besten aufgehoben sein, wenn es um bosnienweite Projekte geht. Leider hatte ich das Gefuehl, dass man dort die Chance nicht so recht wahrnehmen wollte.

Ziemlich exakt einen Monat nach Erics Besuch hier haben uns zwei Jugendliche aus Deutschland beehrt: Olli und Zumi. Sie brachten einiges Computerequipment und Kleidung. Ersteres wird fuer unser IJBH oder das YouthNet verwendet werden, zweiteres geht an Behindertenheime und Waisenhaeuser. Olli und Zumi waren eine echt klasse Hilfe und haben sich jederzeit eingebracht, so gut sie nur konnten (z.B. Reparatur einiger technischer Geraete). Die beiden waren keine Belastungen, und ich denke, dass auch sie eine gute und etwas "andere" Zeit hier verbracht haben. Olli und Zumi sagten uns, dass sie auf jeden Fall weiter in Richtung Bosnien taetig sein wollten, zum Beispiel zur Eroeffnung des IJBHs mit einer deutschen Band hierherkommen oder aehnliches.

Update: Sie hatten zu Weihnachten 1998 auch tatsächlich eine Aktion geplant und mich dazu kontaktiert, diese aus irgendeinem Grund schließlich doch abgesagt wurde. Schade! Neben dem Besuch, der zu uns kam, haben auch wir einige Leute be- oder besser aufgesucht. Unser erstes "Opfer" war die Organisation IAM. Da wir ab Mitte 98 von der EU Geld bekommen sollten, das an eine Kooperation mit einer hiesigen lokalen NGO gebunden ist, haben wir mit IAM eine solche Zusammenarbeit eruiert.

Update: Letztendlich hatten wir bis Mitte 1998 einen geeigneten lokalen Koordinator aus den Reihen von IAM aufgetan: Ilja. Im Monat Mai und Juni hatten wir ihn überall mitgenommen und ihn den wichtigen Leuten bekannt gemacht. Er rutsche so in unserer Strukturen und Arbeitsweise hinein. Bis heute ist er noch dabei, organisiert zum Teil die "bosnische" Seite unserer Seminare, pflegt Kontakte und macht im Rahmen seiner Möglichkeiten nützlich - eine Hilfe für unsere jetzigen Mitarbeiter. Dazu muß man aber auch sagen, daß wir uns eine gleichberechigte Zusammenarbeit zwischen IAM und SHL ein bißchen effektiver vorgestellt hatten. Den größten Teil macht SHL immer noch, IAM hängt sich im Wesentlichen nur dran. Das ist schade, denn wenn man bedenkt, daß IAM am Ende alles übernehmen und weiterführen soll (so der EU-Vertrag), erscheint mir das etwas illusorisch.

Es fanden noch mehrere Treffen mit anderen NGOs statt (meist internationalen), dort habe ich einen Ueberblick ueber die Aktivitaeten der anderen deutschen Organisationen gewonnen. Es ist sehr interessant, dass die meisten noch auf dem Gebiet des physischen Aufbaus arbeiten, erst wenige beschaeftigen sich mit den phsychischen Problemen der Leute und noch weniger mit ueberethnischen Themen. Da habe ich wieder einmal gesehen, dass wir doch etwas ziemlich einmaliges machen, dass dies auch noetig ist, weil es sonst keiner anbietet. Sehr traurig ist die Tatsache, dass der Rueckkehrbeauftragte der Bundesregierung Herr Schlee, bei der Betrachtung der Situation fuer Rueckkehrer fast nur auf den Aspekt des baulichen Aufbaus eingeht, nicht aber wie es mit dem emotionalen Umfeld ausschaut. Da zaehlt nur, wieviele Haeuser wieder instand gesetzt wurden, wieviele Wohneinheiten wieder zur Verfuegung stehen, keiner fragt aber, wie die Rueckkehrer hier aufgenommen werden, ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie garantiert nicht in ihre Heimat zurueckkehren wie es der Dayton-Vertrag fordert, sondern in andere Gebiete. Der Wiederaufbau ist unzweifelhaft eine notwendige Voraussetzung fuer die Rueckkehr, aber reicht das? Es entsteht sofort Neid bei den Nachbarn, die sehen, dass "reiche" Rueckkehrer, die den gesamten Krieg im wohlhabenen Deutschland verbracht haben, in Haeuser einziehen, die komplett hergerichtet worden sind, waehrend sie selbst in Bruchbuden leben.

Sich frueher vehement verwahrend, hat das selbst Schlee schon erkannt und bekennt sich halboeffentlich zu der 50/50 Loesung: 50% der Hilfe fuer Rueckkehrer, die anderen 50% fuer die Hiergebliebenen. Dies ist bereits ein Anfang, aber eine Rueckkehr ohne Heimkehr ist sehr problematisch. Die Barrikaden sind nicht nur materiell bedingt, sondern auch von Emotionen gekennzeichnet, da hilft kein Wiederaufbau weiter. Das vielfach gehegte Bild des gluecklichen Rueckkehrers, der sich die gesamte Zeit vor dem Krieg gedrueckt und sein Heimatland nicht verteidigt hat, ist ueberall gegenwaertig. Gegen solche Vorurteile vorzugehen, ist ein naechster Schritt, der getan werden muss, bevor die Massen zurueckkehren. Ebenso muss man gewaehrleisten, dass die Leute sicher zurueckkehren, dass heisst nach ihrer Rueckkehr keinen Repressalien o.ae. ausgesetzt sind. Dies ist zur Zeit insbesondere in der RS nicht der Fall. Rueckkehr in den serbischen Teil Bosniens ist zur Zeit nicht moeglich! Das schlimmste ist, dass Herr Schlee dies alles weiss, trotzdem in der deutschen Oeffentlichkeit voellig anders lautende Worte von sich gibt. Ich moechte ihm nicht zu nahe treten, aber entweder ist er ein wenig naiv oder doch einfach nur ein grosser Opportunist. Wie moechte er es bitte bewerkstelligen, 180.000 Fluechtlinge (von denen der groesste Teil Muslime sind) innerhalb des Jahres 1998 in die RS zurueckzubringen, wenn sich die politische Situation innerhalb der letzten zwei Jahre kaum geaendert hat und auch nicht von heute auf morgen wird? In Deutschland sollte mehr auf Leute wie Schwarz-Schilling oder die Caritas-Vertreter gehoert werden, die die Situation wesentlich besser darstellen als manche Politker, die die parlamentarische (Dumm-/Mehr-)heit hinter sich wissen.

Update: Mit der Einrichtung der quasi neutralen Zone um Brcko, die auf einen nicht zu lösenden Streit zwischen den jetzt dort lebenden Serben und den ehemals dort lebenden anderen Gruppen, eingerichtet worden war, ist auch nicht die goldene Lösung gefunden worden. Im Vertrag von Dayton wurde der Zeitpunkt für die Entscheidung über Brcko eigentlich festgelegt, nun ist sie noch nicht endgültige getroffen worden. Es wird dort noch weiter Trouble geben, denn auch die "neutralen" Position ist natürlich nicht neutral, sondern eindeutig von der serbischen Seite bestimmt. Bis dahin wird es auch weiterhin das Kuriosium der Exil-Regierung geben, wie auch in Foca und anderen jetzt meist Städten unter serbischer Kontrolle.

Im Jahre 1998 wurde in der RS abermals gewählt. Durch diese kamen die Ultranationalisten an die Macht und die hoffnungsgebene moderate Präsidentin Plavsic wurde abgewählt. Dies hat uns natürlich Sorgen gemacht und sollte sich kurz nach der Wahl auch bewahrheiten. Der neue Präsident XYZ der serbischen Republik innerhalb BiH ging auf Konfrontationskurs mit der Föderation und dann auch mit der internationalen Gemeinschaft. Es dauerte nicht lange und der Hohe Repräsentant, der Überwacher des Dayton-Abkommens in Bosnien, Herr Westendorp, setzte Herrn XYZ förmlich ab. Darum kümmerte der sich überhaupt nicht, sondern wurde noch von seinen Mitstreitern weiterhin gefördert und als ihr höchtser Amtsträger angesehen. Hier zeigt sich, in was für einem Dilemma die internationale Gemeinschaft steckt: juristisch ist sie zwar im Recht, kann also den Präsidenten absetzten, aber praktisch hat sie ein Problem, wenn die anderen Politiker dies nicht anerkennen und sie die von ihrer Seite geleistete Unterschrift nicht kümmert.

Abgesehen von den Defiziten, die es ganz klar in der Deutschen Abschiebepolitk gibt, haben wir hier aber auch den direkten Einfluss Schlees zu fuerchten. Es ist ja nicht schlecht, einen Lobbyisten zu haben, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, die deutschen NGOs unter seine Fittiche zu nehmen. Leider ist von dieser Protegierung herzlich wenig zu spueren. Schlee suchte weder die Naehe zu den NGOs, noch hielt er es fuer notwendig, auf Anfragen unsererseits zu antworten. Als starkes Stueck darf man dann wohl interpretieren, dass der Arbeitsstab Schlee trotz alledem darauf aus ist, die Vergabe von Geldern der EU an hiesige deutsche NGOs zu monopolisieren (nach dem Motto: Deutschland gibt 1/3 aller EU-Gelder, dann kann man doch auch erwarten, dass Deutschland das Mitspracherecht bei der Vergabe bekommt, besonders bei der Frage der Rueckkehrer, derer 60% in Deutschland leben). Normalerweise laeuft dies direkt ueber Bruessel, jetzt aber sieht es so aus, als ob Schlee die Vorauswahl trifft, deren Ergebnis dann von der EU abgesegnet wird. Effekt des Ganzen: bei der letzten Vergaberunde, als die deutschen NGOs Schlees Gesicht wahrten, indem sie noch Antraege einreichten und ihn so nicht in Erklaerungsnot gegenueber der EU brachten, waren fast nur staatliche Organisationen Nutzniesser (THW, GTZ, Bundeswehr). Es entsteht bei uns der Verdacht, dass nur diese bei der Antragsstellung von Schlee nicht unbedingt bevorzugt, aber dennoch zumindest unterstuetzt worden sind. Als Schreckgespenst machte sich auf dem NGO Meeting die Vorstellung breit, es koennte tatsaechlich zu einer Verschiebung des Geldvergabeschemas kommen, denn viele sind von den EU Toepfen abhaengig. Da lobe ich mir doch die Vorzuege einer kleinen Organisation wie SHL, die noch einiges ueber von niemanden abhaengigen Spenden macht. Doch auch uns steht immer mehr die Kooperation mit der EU ins Haus.

Als Ergebnis des Meetings laesst sich sagen, dass wir auf jeden Fall die Naehe zu Schlee suchen, denn seine Intention ist nicht schlecht, dass wir uns aber auf jeden Fall nicht in eine totale Pro-Rueckkehrerecke draengen lassen, auch wenn wir sehen, dass die Leute zurueckkehren sollen. Man wird in naher Zukunft sehen, was der Arbeitsstab Schlee macht, ob er die Naehe und das Wissen der NGOs sucht und ob er aehnlich wie Clinton endlich zugibt, dass der Fall Bosnien nicht in einem Jahr zu loesen ist.

Administratives

Treffen / Meetings

Die wohl zwei wichtigsten Meetings haben einige Dinge gemeinsam. Es geht in beiden Faellen um ein Zusammentreffen mit einer Gruppe von Jugendlichen, die "irgendetwas" in Richtung Jugendinitiative machen wollen. Beidesmal haben sie keine konkreten Vorstellungen und beidemale waere es schade, das Interesse nicht zu unterstuetzen. Die eine Gruppe ist in Br~ko, die andere in Vi{egrad.

Zuerst zu jener in Br~ko: zusammengeholt durch das Engagement von Alina, der lokalen Demokratisierung Beauftragten, haben sie mittlerweile angefangen, verschiedene Kurse zu starten. Computerunterricht und gesprochenes Englisch zaehlen genauso hinzu wie eine Talkrunde ueber Teenagerprobleme. Sehr positiv faellt auf, dass sowohl Jugendliche aus der RS als auch aus der Foederation beteiligt sind (die Gebiete liegen hier sehr nahe beisammen). Aus diesem Grunde hatte Alina auch gedacht, dass eine Idee wie "nepitani" gut eingepasst werden koenne. So bin ich nach Br~ko gefahren und habe mich drei Stunden lang mit den Jugendlichen ueber die Moeglichkeiten der Beteiligung unterhalten. Ich habe sie bestaerkt in ihrem Willen, etwas zu tun und ihnen meine Unterstuetzung angeboten. Aus den oben genannten Gruenden, konnte ich ihnen aber keine dauerhafte Teilnahme an "nepitani" Meetings zusagen. Trotzdem habe ich sie zum Treffen in Tuzla eingeladen, damit sie ein Gefuehl fuer die Idee bekommen. Alina hatte auch zugesagt, sie zu bringen, leider sind sie im Endeffekt nicht erschienen, was mich etwas traurig gestimmt hat. Als Perspektive sehe ich fuer sie, dass bald ein Jugendzenter in Br~ko aufmacht, der auch den Rahmen fuer eine lokale multiethnische Journalismusgruppe bieten kann. Ein weiteres Meeting fand in Vi{egrad statt. Etwa vierzig Jugendliche kamen und wir sprachen ganz im Allgemeinen darueber, was sie selbst tun koennen, um ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Da in Vi{egrad noch kein richtiges Programm aufgestellt wurde, habe ich noch einige Tips und Ideen gegeben, immer mit dem Hinweis, dass ich zwar unterstuetzen, aber nicht leiten koenne. Es ist dann immer wieder hart fuer mich, die Fragen nach der Errichtung eines lokalen Jugendzentrums, mit "nein" beantworten zu muessen. Am Ende fanden sich noch etwa zwanzig Leute ein, die speziell fuer "nepitani" etwas machen wollen. So war die Auffrischung der Vi{egrad Gruppe gesichert. Ich hoffe, dass sich die lokale Redaktion mit diesen neuen Interessenten festigt und eigenstaendig agiert. Dafuer werde ich noch oefter in Vi{egrad verweilen.

Mit einer grossen Freude haben wir alle festgestellt, dass sich einige Aenderungen in der politischen Welt Bosniens-Herzogowinas ereignet haben. Ein neues, liberaleres RS-Parlament wurde gewaehlt, die neue Regierung in der RS gibt sich offener und kooperationsfreudiger, auch wenn die Kriegsverbrecherfrage immer noch ein heikler Thema ist. Einheitliche Nummernschilder, die die Herkunft eines Wagens nicht auf den ersten Blick erkennen lassen, wurden eingefuehrt. Damit ist ein notwendiger Schritt in Richtung Bewegungsfreiheit getan. Fuer die Einheit Bosniens stehen auch die neue gemeinsame Flagge, die ab April zu benutzende neue Waehrung und der neue Pass. Neue Gesetze sollen erlassen werden, die auslaendische Investitionen foerdern und die Wirtschaft ankurbeln sollen. Einzig bedrueckend ist die Tatsache, dass die meisten dieser Punkte nicht im Diskurs und Konsens zwischen den drei Parteien, sondern im Erlassverfahren durch die Internationale Gemeinschaft geschehen sind. Aber leider konnten die Gespraechspartner keinen Konsens finden, haben so gewisse gesetzte Fristen ueberschritten und wurden im Endeffekt durch den Hohen Repraesentanten Westendorp ueberstimmt. Dies war nach fast zwei Jahren Nichts-Tun auch einmal noetig und laesst auf weitere Verbesserung hoffen, diesmal am besten ohne Einmischung durch die Internationale Gemeinschaft.

Irgendwann muss dieses Land ja auch mal auf eigenen Beinen stehen! Das dies nicht in den naechsten zwei Jahren der Fall sein wird, ist abzusehen, daher ist die Entscheidung, die SFOR noch laenger hier zu lassen, notwendig. Auf lange Zeit betrachtet, bergen die jetzgigen politischen Aenderungen die Moeglichkeit auf Eigenstaendigkeit fuer Bosnien-Herzogovina.

Foca Incident

Seit Ende 1996 unterstützen wie so gut wir können ein innovatives Projekt im tiefsten Ostbosnien. Die dortige Region ist Kerngebiet der radikalen Nationalisten und mutmaßliches Versteck solcher international gesuchter Kriegsverbrechergrößen wie Herr Mladic und Herr Karadzic. Die Stimmung vor Ort ist äußerst bedrückend, geradezu xenophon - jeder ist mißtrauisch, besonders Fremden gegenüber. Diesen wird in fast allen Cafes der Service versagt, viele pöpeln sie an (in dem Wissen, daß die meisten Internationalen es eh nicht verstehen) und wenn Blicke töten könnten, wären wir nach zehn Metern schon unter der Erde gewesen.

In Foca, im Herzen der Republik Srpska, hat Shin Yasui, ehemals Mitarbeiter im Mladi Most Mostar und überzeugter Jugendarbeiter und Pazifist, mit unserer finanziellen und adminstrativen Hilfe einen Jugendtreff aufgemacht. Dort versucht er erstmal, mit den Jugendlichen in Kontakt zu kommen und mit ihnen über praktische Tätigkeiten wie Jonglieren oder Lesen in Kontakt zu kommen und die Berührungsängste abzubauen. Erstaunlicherweise gelingt ihm das ziemlich gut. Wenn die Kinder und Jugendlichen erstmal die Schranken ihrer durch Propaganda oder persönliche Historie aufgebauten Ängste überwinden, finden sie bei Shin immer ein offenes Ohr für ihre Probleme – maßgeblich Perspektivlosigkeit. Er versteht es hervorragend zuzuhören (er spricht fließend Bosnisch) und auf eine sehr asiatische Art (d.h. vor allen Dingen: Zurückhaltenung) auf die Leute einzugehen und ihnen das Gefühl vermittelt, verstanden worden zu sein und Hilfe erfahren zu haben, auch ohne daß er wirklich viel sagt. Shins Arbeit in Foca ist einfach bewundernswert, er scheint der richtige Mann auf der Stelle zu sein, vielleicht mit seiner unverwechselbaren Art der einzige der unter den jetzigen Bedingungen dort arbeiten kann.

Die besagten Umstände wurden mit der Zeit aber leider nicht besser, sondern schlechter. Hatte er am Anfang "nur" mit Anfeindungen und bösen Blicken zu tun, dann endlich nach einem nicht enden wollenden Hin-und-Her die förmliche Genehmigung zum Betrieb des Jugendtreffs gegeben, wurden ihm mehr und mehr Steine in den Weg gelegt. Wöchentliche Meldungen bei der Polizei (größtenteils Ex-Militärs und keine ausgebildeten Wächter der Ordnung und des Rechts), noch häufigere Vorzitierung zu derselben wegen irgendwelcher Kleinigkeiten oder zur puren Schikane machen ihm sein Leben schwer. Durch seine Hartnäckigkeit wohl noch mehr provoziert gipfelte dieser Machtkampf in der Androhung nackter Gewalt und damit Gefahr für seine Gesundheit und Leben. Diese Eskalation wurde maßgeblich vorangetrieben, als die SFOR Truppen in Ostbosnien wieder einmal versuchten, einen der "kleinen" Kriegsverbrecher zu schnappen. Also ‚flüchtete" Shin nach diesen Drohungen zu uns nach Sarajevo, um erstmal Ruhe in Foca einkehren zu lassen.

Update: Shin ist nie mehr nach Foca zurückgekehrt. Damit hatte unser Pilotprojekt in der östlichen Republik Srpska gezeigt, daß die Situation für ein eigenen Jugendtreff noch zu ungünstig ist und wir andere Wege der Jugendarbeit weitertreiben müssen. Die Zusammenarbeit mit einzelnen Jugendlichen in Visegrad im Rahmen des nepitani-Projekts klappt schon gut und ist vielversprechend. Doch Foca ist noch eine Nummer härter und muß mit besonderem Fingerspitzengefühl behandelt werden.

Persönliches

Nach der im April abgehaltenen MV wollte ich die Möglichkeit nutzen, mich genauen über Studienmöglichkeiten zu erkundigen. Daher habe ich mir von SHL einen Wagen geliehen (er wurde gerade nicht gebraucht) und bin durch die Lande gefahren. Da ich gerade in Berlin war, fing meine Erkundigung in der TU Berlin an und führten dann weiter über Magdeburg, Clausthal, Ilmenau (bei Erfurt), Chemnitz und Freiberg. Ich wollte mich vor Ort bei Professoren und Studierenden informieren. Innerhalb der zweieinhalb Tage konnte ich natürlich nicht alles begutachten, aber der persönliche Eindruck der Lehrstätten war mir wichtig. Mit nach Hause gebracht hatte ich alle möglichen Prospekte, Bücher und die Entscheidung, in Ilmenau anzufangen, da dort die beste Lehrsituation und das Umfeld zum Studieren so ist, wie ich sie mir vorstelle. In Ilmenau ist zwar nichts los (30.000 Einwohner), aber darauf kommt es mir nicht an. Ich möchte etwas lernen, für den Rest sorge ich schon selber, da brauche ich keine Vergnügungsmeile!

Update - Obwohl ich es aus verständlichen Gründen nicht geschafft habe, zum Wintersemester 1998 anzufangen, bin ich weiterhin bei meiner Entscheidung für Ilmenau geblieben, auch wenn sich andere verlockende Angebote aufgetan haben. So bieten viele Unis Doppelabschlüsse oder Internationale Studiengänge an, die natürlich anziehen. Bis vor kurzem war Ilmenau in diesem Aspekt noch ein bischen hinterher, und ich war drauf und dran, woanders hingehen zu wollen. Nun hat Ilmenau nachgezogen und wird zum Wintersemester 1999/2000 auch englischsprachige Studien mit integrierten Praktikum im Ausland und dem Abschluß Bachelor und Master (gängige anglikanische Abschlüße) geben. Das werde ich machen!

Über die ganzen Monate haben ich mit vielen Jugendlichen zu tun gehabt. Daheraus sind auch einige Sympathien und schließlich Freundschaften geworden. So ist mir Rajko aus Visegrad richtig ans Herz gewachsen. Er ist zwar etwas "tough" wie man im Englischen sagen würde (übersetzt so etwas wie "hart gesotten", "raubeinig"), aber trotzdem im Tiefen ein lieber Kerl. Die harte Schale nach außen hin ist, denke ich, eine natürliche Abwehrreaktion auf die sicher traumatischen Erlebnisse während des Krieges. Rajko hat mir als einziger Erlebnisse aus dem Krieg geschildert und hat auch keine Scheu darüber zu reden. Er überdeckt seine Verletztheit meist mit derben Späßen und einem tiefschwarzen Humour. Wie fast alle Jugendlichen auch verabscheut er die jetzige Situation und spricht immer davon, "hier wegzugehen". Mittlerweile habe ich seine komplette Familie (bezeichnender Weise ohne Vater!) kennengelernt und wurde sehr freundlich aufgenommen (obwohl ich als Deutscher den typischen Gegner der Serben darstelle). Wir machen viel zusammen, wenn wir uns sehen und ich gewinne immer tieferen Einblick ind ie Gedanken- und Gefühlswelt des Bosniers.

Update - Lange habe ich ihn nicht mehr gesehen, kein Wort von ihm vernommen (Telefonate aus Deutschland in die serbische Republik sind fast unmöglich). Beim meinem letzten Besuch war es endlich soweit: ich wollte Rajko besuchen. So versuchte ich eine Woche lang, ihn zu Hause anzurufen, hatte aber auch kein Glück. Als ich schließlich eine Teilnehmerin vom "nepitani"-Seminar nach Hause bringen sollte, ergab sich die Möglichkeit, bei ihm vorbeizuschauen. Leider war er nicht da: er studiere nun in Belgrad erfuhr ich durch seine Mutter. Belgrad! Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man dort in dieser Zeit (man bedenke: die NATO-Luftangriffe!!) studieren könne. Sie teite mir auch weiter mit, daß er erst morgen käme und ich nicht anrufen könne, weil sie aus Geldmangel das Telefon nicht mehr bezahlen könnten. Daraufhin habe ich mich enttäuscht auf den Rückweg gemacht, aber zumindest meine Telefonnummer in Sarajevo hinterlassen.

Am nächtsen Morgen kam dann der erhoffte Anruf: Rajko war dran und teilte mir mit, daß er in Sarajevo bei seinem Onkel sei. So konnten wir endlich sehen und ich ihn wieder umarmen. Es war ein sehr schönes Wiedersehen, besonders in der gewohnten Athmosphere bei seinem Onkel, wo wir schon oft gesessen hatten. Es gab natürlich Kafa und Kolaci, wie immer. Und natürlich durfte Zeljanica und Sirnica (Blätterteig gefüllt mit Spinat oder Käse) nicht fehlen, die der Onkel immer frisch für mich zubereitet. Anfangs habe ich dieses Aufwand extra für mich abgelehnt, es half aber alles nichts: jedes Mal das gleiche Ritual mit Kafa, Kolaci und Zeljanica. Und macht erzählt und lacht und erzählt. Interessant war zu erfahren, daß Rajko endlich angefangen hatte zu studieren, dies aber unter einem dunklen Stern stand. Ein halbes Jahr nach seinem Beginn wurden die Querelen rund um Serbien und Milosovic auch bei ihm an der Uni merkbar: Professoren wurden ausgetauscht, weil sie nicht linientreu waren, andere kamen in ihre Positionen und die Studenten forderten die alten weil besseren zurück. Daraufhin wurde ihnen ein Ultimatum gestellt: entweder sie nehmen die neuen an, oder sie müssen die Uni verlassen und auf der Wiese studieren. Drauf und dran, dieses gemeinschaftlich zu tun, kam der Yugoslawien-Krieg auf und der Lehrbetrieb wurde sowieso eingestellt. Nun ist er wieder beschäftigungslos.

Interessanterweise erzählte er mir, daß viele Studenten diese ihnen nur Nachteile bringende Regierung am liebsten abschaffen würden. Dies widerspricht sich gänzlich mit der in den Westmedien geäußerten "Tatsachen", daß alle Serben hinter Milosevic ständen. Durch den Rausschmiß aus der Uni hat sich auch wieder sein Wille gestärkt, aus diesem "kranken" Land wegzugehen. Seine jetzige Freundin und vielleicht zukünftige Frau ist genau der gleichen Meinung und würde ihr gut laufendes Geschäft in Serbien aufgeben, um mit ihm auszureisen. Daher kam er auf mich zu und fragte mich nach Hilfe. Ich habe leider keine Ahnung bei Aussiedlungen, aber ich konnte ihnen auf jeden Fall allgemeine Tips geben. So stellen sie sich die Aktion recht einfach und unproblematisch vor, da mußte ich sie dann doch enttäuschen. Keines der europäischen Länder ist ein typisches Einwandererland. Deutschland hat noch die am einfachsten zu überwindenen Bestimmungen, andere sind viel radikaler. Dann bleiben da noch Optionen wie Australien und Kanada. Diese verlangen aber auch bestimmte Mindestanforderungen wie eine abgeschlossene Berufsausbildung oder Vermögen. Rajko und seine Freundin sind noch nicht einmal verheiratet, Singles werden ganz ungerne genommen, genug Familien mit Härtefällen (politisch verfolgt) klopfen an der Tür. So konnte ich ihnen auf jeden Fall aufzeigen, daß so ein Unterfangen nicht gerade ein Kinderspiel ist und lange Vorbereitung braucht. Ich habe ihnen meine Unterstützung zugesagt soweit es mir möglich ist. Zum Beispiel könnte ich ihnen die Möglichkeit bieten, nach Deutschland zu kommen und hier die verschiedenen Konsulate und Botschaften abzuklappern, die ihnen möglicherweise helfen könnten (fast alle ausländischen Staatsvertretungen sidn aus Jugoslawien verschwunden). Das könnte aber auch daneben gehen, wenn sie dann einfach hier bleiben und ich für sie die finanzielle Sicherheit garantiert habe (dies ist Vorraussetzung für eine Einreise).

Generell schade finde ich einfach die Tatsache, daß so viele junge Leute ihrer Heimat den Rücker kehren, denn sie sind alleine, die ihrem Land eine Perspektive, eine Zukunft geben könnten. Doch gerade die gehen! Auf der anderen Seite kann ich sie voll und ganz verstehen: wer möchte schon in einem Land leben, das sie nur bindet und keine richtige Perspektive bietet. Aber was soll passieren, wenn die alle gehen und hier nichts übrigbleibt? Dann wird erst recht alles staknieren und keine Neuerungen eintreten. Für beide Wege sprechen gute Gründe. Ich wüßte bestimmt selber nicht, wie ich in der Situation entscheiden würde.

Neben der Arbeit und den damit verbundenen Dinge habe ich schon seit meiner Ankunft hier versucht, einen gewissen Level von aktiver Freizeitgestaltung zu halten. Dies ist unheimlich wichtig, will man nicht irgendwann den Symptomen des klassischen "Burn-Outs" erliegen. Nur wenn man auch mal abschalten und etwas komplett anderes machen kann, ist man auch wieder fit fuer Arbeit. Normalerweise arbeite ich unter der Woche bis spaet in die Nacht. Doch manchmal nehme ich mir einfach die Freiheit und gehe ins Kino oder einfach mal ins Restaurant, schoen ruhig was essen. Das hilft sehr viel. In letzter Zeit ist noch eine Aktivitaet hinzugekommen, die wir auch alle zusammen geniessen koennen: Skifahren. Als geborener Flachlanddeutscher war es fuer mich echt eine Erfahrung, auf den Bretter zu stehen. Beim vierten Mal klappte es schon echt gut, das Hinfallen beschraenkt sich auf wenige Male. So habe ich mir einen Wunsch erfuellt, den ich beim Abreisen Richtung Bosnien geaeussert hatte: Skifahren lernen.

Ein anderer Wunsch meinerseits war auch, meine Freundin, die wie beschrieben natürlich in Deutschland gebleiben war, so oft wie möglich zu sehen. Das klappte aber nur alle zwei Monate, höchstens. Wenn ich nicht zu ihr finde, kommt sie halt zu mir! So haben wir gemeinsam Urlaub in Ex-Yugoslawien gemacht. Wir waren zur Frühlingszeit in Bosnien und Kroatien, wo wir tolle fünf Tage zusammen verbracht haben. Es ging los in Sarajevo, führte uns an die Adriaküste, nach Dubrovnik und wieder zurück. Das Wetter war gigantisch, wir haben am Strand übernachtet und die Natur genossen. Diese arbeitsfreie Zeit war mit das schönste und erholsamste, was ich je erlebt habe! Danke noch einmal an dieser Stelle an sie.

Update - Dazu muß jetzt noch anmerken, daß ich nicht mehr mit ihr zusammen bin. Dies ist auch eine Auswirkung meines Unfalls, so nehme ich jedenfalls an. Franziska hat sich wunderbar um mich gekümmert als ich es brauchte. Später, in einer Zeit in der ich nicht auszuhalten war (so jedenfalls meine Eltern), war sie wohl überfordert und hat die Konsequenzen daraus gezogen. Das kann auch eine Folge solch eines Unfalls sein, und die ist nicht gerade aufbauend, ja geradezu niederschmetternd.

Endnote - Der letzte "Urlaub", den ich gemacht hatte, war seinem Ende nahe und durch den Unfall überschattet. Ich war in Kiel, habe dort die Kieler Woche mitgefeiert, viele Bekannte gesehen, meinen 21. Geburtstag zusammen mit meinen besten Freunden gefeiert, SHL-Koordination geleistet, mich mit Mitarbeitern getroffen und nicht zuletzt fast die ganzen Tage an diesem Rundbrief geschrieben, der, wie oben beschrieben dann doch nicht ganz zu Ende geführt wurde. An diesem jetzt gearde hiermit zu Ende geführten Rundbrief möchte ich nun enden, denn es schließt sich der Kreis.

Danke für Eure Aufmerksamkeit, für Eure Unterstützung und Interesse! Wenn jemand noch Nachfragen oder Anregungen hat, bitte bei mir melden! Solltet noch weiter Interesse an Unterstützerfunktion für andere Freiwillige bestehen, wendet Euch an mich, es gibt noch einige andere engagierte Jugendliche, die immer Unterstützung brauchen.

Danke für die Aufmerksamkeit!!